Vorlesezeit für Kinder: 4 min
Es waren einmal zwei Handwerksburschen, die wanderten zusammen und gelobten bei einander zu halten. Als sie aber in eine große Stadt kamen, ward der eine ein Bruder Liederlich, vergaß sein Wort, verließ den anderen und zog allein fort, hin und her; wo’s am tollsten zuging war’s ihm am liebsten.
Der andere hielt seine Zeit aus, arbeitete fleißig und wanderte hernach weiter. Da kam er in der Nacht am Galgen vorbei, ohne dass er’s wusste, aber auf der Erde sah er unten einen liegen und schlafen, der war dürftig und blass, und weil es sternenhell war, erkannte er seinen ehemaligen Gesellen.
Da legte er sich neben ihn, deckte seinen Mantel über ihn und schlief ein. Es dauerte aber nicht lang, so wurde er von zwei Stimmen aufgeweckt, sie sprachen mit einander, das waren zwei Raben, die saßen oben auf dem Galgen. Der eine sprach: „Gott ernährt!“ der andere: „tue darnach!“ und einer fiel nach den Worten matt herab zur Erde, der andere blieb bei ihm sitzen und wartete bis es Tag war, da holte er etwas Gewürm und Wasser, erfrischte ihn damit und erweckte ihn vom Tod.
Wie die beiden Handwerksburschen das sahen, verwunderten sie sich und fragten den einen Raben, warum der andere so elend und krank wäre, da sprach der kranke: „weil ich nichts tun wollte und glaubte, die Nahrung käme doch vom Himmel.“ Die beiden nahmen die Raben mit sich in den nächsten Ort, der eine war munter und suchte sich sein Futter, alle Morgen badete er sich und putzte sich mit dem Schnabel, der andere aber hockte in den Ecken herum, war verdrießlich und sah immerfort struppig aus.
Nach einer Zeit hatte die Tochter des Hausherrn, die ein schönes Mädchen war, den fleißigen Raben gar lieb, nahm ihn von dem Boden auf, streichelte ihn mit der Hand, endlich drückte sie ihn einmal an’s Gesicht und küsste ihn vor Vergnügen. Der Vogel fiel zur Erde, wälzte sich und flatterte und ward zu einem schönen jungen Mann.
Da erzählte er, der andere Rabe wär“ sein Bruder und sie hätten beide ihren Vater beleidigt, der hätte sie dafür verwünscht und gesagt: „fliegt als Raben umher, so lang, bis ein schönes Mädchen euch freiwillig küsst.“ Also war der eine erlöst, aber den anderen trägen wollte niemand küssen und er starb als Rabe. – Bruder Liederlich nahm sich das zur Lehre, ward fleißig und ordentlich und hielt sich bei seinem Gesellen.

Hintergründe
Interpretationen
Adaptionen
Sprache
Zusammenfassung
„Der Faule und der Fleißige“ (KHM 119a) ist ein weniger bekanntes Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm. Die Geschichte wurde ursprünglich in der ersten Auflage von 1815 veröffentlicht und stammt aus der Schwalmgegend in Deutschland. Sie wurde möglicherweise von Ferdinand Siebert aus Treysa gesammelt, der eine Quelle für die Geschichten der Brüder Grimm war.
Das Märchen behandelt Themen wie Fleiß, Faulheit, Verwandlung und Erlösung, die in vielen anderen Märchen der Brüder Grimm und in der europäischen Volksliteratur im Allgemeinen vorkommen. Die Verwandlung von Menschen in Tiere durch einen Fluch oder eine Verwünschung ist ein wiederkehrendes Motiv. In „Der Faule und der Fleißige“ werden die beiden Raben von ihrem Vater verwandelt, weil sie ihn beleidigt hatten. Ähnliche Verwünschungen finden sich in Märchen wie „Die sieben Raben“ (KHM 25) und „Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich“ (KHM 1).
Die Erlösung durch einen Kuss ist ebenfalls ein verbreitetes Element in Märchen. Im Fall von „Der Faule und der Fleißige“ führt der Kuss der Tochter ihres Hausherrn zur Verwandlung eines Raben zurück in einen Menschen. Dieses Motiv findet sich auch in anderen Geschichten wie „Die Krähen“ (KHM 107a), „Die beiden Wanderer“ (KHM 107) und „Die drei Handwerksburschen“ (KHM 120). Vergleichbare Motive sind in anderen europäischen Erzählungen vorhanden, wie zum Beispiel in Giambattista Basiles „Die beiden Brüder“.
Das Märchen erzählt von zwei Handwerksburschen, die zusammen auf Wanderschaft gehen und sich gegenseitig das Treuegelöbnis geben. Im Verlauf der Erzählung trennt sich ihr Weg: Einer, der Bruder Liederlich, verfällt in Unzuverlässigkeit und verliert seinen Lebensmut, während der andere durch Fleiß und Standhaftigkeit seinen Weg fortsetzt. Bei einem nächtlichen Vorbeigehen an einem Galgen begegnet er auf ungewöhnliche Weise seinem einstigen Gesellen, der dort regungslos liegt. Zwei Raben, die als Kommentatoren auftreten, bringen durch ihre Worte und Handlungen den Kontrast zwischen aktivem Handeln und passivem Abwarten zum Ausdruck. Letztlich wird durch den Kuss eines schönen Mädchens der fleißige Rabe in einen jungen Mann verwandelt – ein Symbol der Erlösung –, während der untätige Rabe, dessen Bruder der gescheiterte Gefährte ist, zurückbleibt und stirbt. Bruder Liederlich zieht aus diesen Ereignissen die Lehre, sich künftig durch Fleiß und Zuverlässigkeit auszuzeichnen.
Das Märchen „Der Faule und der Fleißige“ (KHM 119a) von den Gebrüdern Grimm bietet verschiedene Interpretationsmöglichkeiten und lehrt mehrere moralische Lektionen. Hier sind einige mögliche Interpretationen der Geschichte:
Bedeutung von Fleiß und Arbeit: Eine der offensichtlichsten Interpretationen des Märchens betont die Bedeutung von Fleiß und harter Arbeit im Leben. Die Unterschiede zwischen den beiden Handwerksburschen zeigen, wie der Fleißige belohnt wird und Gutes tut, während der Faule kein Glück hat und keine Vorteile erntet. Ein zentrales Motiv des Märchens ist der Gegensatz zwischen aktivem, verantwortungsvollem Handeln und passiver Untätigkeit. Der fleißige Rabe, der sich um sein Futter kümmert und gepflegt wird, steht in scharfem Kontrast zu seinem Bruder, der in Selbstzufriedenheit verharrt und letztlich sein Schicksal nicht wenden kann.
Verwandlung und Erlösung: Das Märchen zeigt, wie Menschen durch äußere Umstände (in diesem Fall einen Fluch) verwandelt werden können, und wie diese Verwandlung durch Liebe und Mitgefühl rückgängig gemacht werden kann. Der Kuss der Tochter ihres Hausherrn ist ein Akt der Liebe, der den verwandelten Raben erlöst und ihm ermöglicht, wieder ein Mensch zu werden. Die wundersame Verwandlung des fleißigen Raben in einen jungen Mann durch den Kuss eines Mädchens symbolisiert, dass durch Zuwendung und aktives Bemühen über das eigene Schicksal hinaus positive Veränderungen möglich sind.
Die Folgen des Ungehorsams: Die Raben wurden von ihrem Vater in Tiere verwandelt, weil sie ihn beleidigt hatten. Diese Geschichte lehrt uns, dass Respekt und Gehorsam gegenüber den Älteren und den Autoritäten wichtig sind und dass Ungehorsam zu schwerwiegenden Konsequenzen führen kann. Das Märchen schließt mit einer klaren moralischen Botschaft: Fleiß, Selbstdisziplin und Verantwortungsbewusstsein führen zu einer positiven Wendung im Leben, während Faulheit und Nachlässigkeit unweigerlich in Misserfolg enden.
Freundschaft und Loyalität: Der fleißige Handwerksbursche bleibt trotz der Unterschiede zwischen ihm und seinem faulen Freund loyal und kümmert sich um ihn, indem er ihn mit seinem Mantel zudeckt. Dies zeigt die Bedeutung von Freundschaft und Loyalität und wie sie in schwierigen Zeiten eine wichtige Stütze sein können. Die ursprüngliche Kameradschaft der beiden Handwerksburschen und deren unterschiedliche Entwicklungen illustrieren, wie persönliche Eigenschaften den Lebensweg entscheidend beeinflussen können.
Bedeutung von Empathie und Fürsorge: Der fleißige Handwerksbursche zeigt Empathie und Fürsorge, indem er seinen faulen Freund zudeckt und sich um die Raben kümmert. Die Handlung betont, wie wichtig es ist, Empathie und Fürsorge für andere Menschen und Lebewesen zu zeigen.
Insgesamt bietet das Märchen „Der Faule und der Fleißige“ von den Gebrüdern Grimm viele Interpretationsmöglichkeiten und lehrt verschiedene wichtige moralische Lektionen. Es vermittelt die Werte von Fleiß, Arbeit, Loyalität, Empathie, Fürsorge, Respekt und Erlösung und zeigt, wie diese Werte im Leben belohnt werden.
„Der Faule und der Fleißige“ (KHM 119a) ist ein weniger bekanntes Märchen der Brüder Grimm, und es gibt nicht so viele Adaptionen wie bei einigen der bekannteren Märchen. Dennoch gibt es einige Beispiele, in denen dieses Märchen angepasst oder als Inspiration für andere Werke verwendet wurde:
Theaterstücke: Das Märchen „Der Faule und der Fleißige“ wurde in verschiedenen Theaterstücken für Kinder adaptiert. Ein Beispiel ist das Stück „Der Fleißige und der Faule“ von Günter Neumann, das speziell für Kinder geschrieben wurde und in verschiedenen deutschen Schulen und Theatern aufgeführt wurde. Das Märchen ist häufig Bestandteil von Schultheater- und Jugendtheaterproduktionen, die den moralischen Gegensatz zwischen Faulheit und Fleiß kindgerecht inszenieren.
Radioprogramme: Das Märchen wurde auch in Radioprogrammen wie „Ohrenbär“ des deutschen Radiosenders RBB (Rundfunk Berlin-Brandenburg) aufgenommen und in Hörspielform adaptiert, um Kinder und Familien anzusprechen. Mehrere Hörspielreihen, in denen Grimms Märchen vertont werden, greifen auch dieses Märchen auf.
Märchensammlungen: „Der Faule und der Fleißige“ wurde in verschiedenen Sammlungen von Märchen und Geschichten, die die Werke der Brüder Grimm enthalten, neu interpretiert oder neu erzählt. Ein Beispiel ist die Sammlung „Sämtliche Märchen und Geschichten“ von Wilhelm und Jacob Grimm, in der die Geschichte neu interpretiert und nacherzählt wird.
Illustrationen: Künstler haben das Märchen in verschiedenen Illustrationen dargestellt, die oft in Sammlungen von Grimms Märchen zu finden sind. Die Illustrationen zeigen verschiedene Szenen und Charaktere aus der Geschichte, wie zum Beispiel die beiden Handwerksburschen, die verwandelten Raben und die Tochter des Hausherrn. Moderne, illustrierte Kinderbücher und Comics bieten zeitgemäße Neuinterpretationen, die die ursprüngliche Moral – dass Fleiß belohnt wird und Faulheit Konsequenzen hat – beibehalten.
Literatur: Obwohl es keine direkte Adaptionen des Märchens in Filmen oder Fernsehsendungen gibt, könnte die grundlegende Handlung von „Der Faule und der Fleißige“ als Inspiration für andere Geschichten dienen, die ähnliche Themen wie Fleiß, Freundschaft, Verwandlung und Erlösung behandeln. „Die Grille und die Ameise“ (Fabel von Aesop): Diese bekannte Fabel erzählt die Geschichte einer Grille, die den Sommer über singt und spielt, während die Ameise fleißig arbeitet und Vorräte für den Winter sammelt. Als der Winter kommt, hat die Grille nichts zu essen und erfährt die Folgen ihrer Faulheit. Diese Fabel behandelt ein ähnliches Thema wie „Der Faule und der Fleißige“ und zeigt die Bedeutung von Fleiß und Voraussicht. „Lazy Jack“ (Englisches Volksmärchen): Diese Geschichte handelt von einem faulen Jungen namens Jack, der aufgrund seiner Faulheit immer wieder in Schwierigkeiten gerät. Schließlich findet er jedoch einen Weg, seine scheinbaren Schwächen in Stärken zu verwandeln. Obwohl die Geschichte nicht direkt auf „Der Faule und der Fleißige“ basiert, behandelt sie die Themen Faulheit und die möglichen Konsequenzen davon.
Da „Der Faule und der Fleißige“ kein bekanntes Märchen wie „Schneewittchen“ oder „Aschenputtel“ ist, sind die Adaptionen und Interpretationen dieses Märchens begrenzt. Dennoch gibt es Beispiele für Theaterstücke, Radioprogramme und Illustrationen, die die Geschichte für verschiedene Medien adaptiert haben und die moralischen Lektionen und Themen des Märchens weiterhin vermitteln.
Das Märchen „Der Faule und der Fleißige“ ist eine moralisierende Geschichte, die die Bedeutung von Fleiß und die Konsequenzen von Faulheit hervorhebt. In der Geschichte rettet ein fleißiger Handwerksbursche einen verzauberten Raben und bekommt dafür Anerkennung, während der faule Bursche erst spät bemerkt, dass seine Faulheit Folgen hat. Die Geschichte der „Der faule Heinrich“ (KHM 164) der Gebrüder Grimm teilt einige Ähnlichkeiten mit „Der Faule und der Fleißige“. In dieser Geschichte wird allerdings der faule Heinrich am Ende belohnt, während sein fleißiger Freund Pech hat.
Erzählstil und Sprache: Das Märchen bedient sich einer einfachen, bildhaften Sprache, die typisch für volkstümliche Erzählungen ist. Die Sprache wirkt direkt und unprätentiös, wodurch die moralische Botschaft klar vermittelt wird.
Dialog und direkte Rede: Die Raben treten in den Vordergrund, indem sie in knappen, prägnanten Sätzen ihre Ansichten äußern („Gott ernährt!“ – „tue darnach!“). Dieser direkte Dialog hebt die Kontraste zwischen Initiative und Passivität hervor.
Namen und Bezeichnungen: Die Bezeichnung „Bruder Liederlich“ ist ein Hinweis auf den Charakter des einen Gesellen, der seiner Verantwortung nicht gerecht wird, während die Namen der Figuren symbolisch für deren Wesenszüge stehen.
„Der Faule und der Fleißige“ ist ein Märchen der Brüder Grimm über zwei Handwerksburschen, von denen einer faul und der andere fleißig ist. Die beiden wollen immer zusammenbleiben, doch ihre unterschiedlichen Charaktereigenschaften führen zu unterschiedlichen Schicksalen. Eines Abends sieht der fleißige Handwerksbursche den faulen unter einem Galgen liegen und bedeckt ihn mit seinem Mantel. Während sie dort verweilen, hören sie zwei Raben sprechen. Einer sagt „Gott ernährt“, der andere „thu darnach“. Der erste Rabe fällt zu Boden, und der zweite versorgt ihn. Die beiden Handwerksburschen nehmen die Raben mit sich.
Im Haus ihres Hausherrn verliebt sich die Tochter des Hausherrn in den immer geputzten Raben und küsst ihn. Daraufhin verwandelt sich der Rabe in einen Mann. Er erzählt, dass er und der andere Rabe von ihrem Vater verwandelt wurden, weil sie ihn beleidigt hatten. Der andere Rabe, jedoch, wird von niemandem geküsst und stirbt schließlich. Dies dient dem faulen Handwerksburschen als Lehre, und die Geschichte endet mit der Betonung der Bedeutung von Fleiß und den Konsequenzen von Faulheit.
Das Märchen vermittelt auf humorvolle und zugleich lehrreiche Weise die klassische Moral, dass aktives Handeln und Disziplin der Schlüssel zu einem gelingenden Leben sind. Durch den Einsatz einfacher, bildhafter Sprache, den Einsatz von Tierfiguren als Allegorien und den direkten Vergleich zwischen den beiden Lebensweisen wird dem Leser die Bedeutung von Verantwortung und Fleiß eindrücklich vor Augen geführt. Bruder Liederlich, der zunächst dem Pfad der Faulheit verfallen war, wird schließlich zur Umkehr bewegt – ein Appell, sich selbst kritisch zu hinterfragen und das eigene Verhalten zu verbessern.
Informationen für wissenschaftliche Analysen
Kennzahl | Wert |
---|---|
Nummer | KHM 119a |
Lesbarkeitsindex nach Amstad | 67.5 |
Lesbarkeitsindex nach Björnsson | 41.5 |
Flesch-Reading-Ease Index | 54.9 |
Flesch–Kincaid Grade-Level | 11.8 |
Gunning Fog Index | 12.6 |
Coleman–Liau Index | 11.7 |
SMOG Index | 11.5 |
Automated Readability Index | 12 |
Zeichen-Anzahl | 2.349 |
Anzahl der Buchstaben | 1.856 |
Anzahl der Sätze | 16 |
Wortanzahl | 398 |
Durchschnittliche Wörter pro Satz | 24,88 |
Wörter mit mehr als 6 Buchstaben | 66 |
Prozentualer Anteil von langen Wörtern | 16.6% |
Silben gesamt | 596 |
Durchschnittliche Silben pro Wort | 1,50 |
Wörter mit drei Silben | 33 |
Prozentualer Anteil von Wörtern mit drei Silben | 8.3% |