Vorlesezeit für Kinder: 7 min
»In einer kalten Winternacht kroch ein hungriger Fuchs aus seinem Bau und ging dem Fange nach. Da hörte er auf einem Meierhofe einen Hahn fort und fort krähen, der saß auf einem Kirschbaum und hatte schon die ganze Nacht gekräht. Jetzt strich der Fuchs hin nach dem Baum und fragte: ›Herr Hahn, was singst du in dieser kalten und finstern Nacht?‹ Der Hahn sprach: ›Ich verkünde den Tag, dessen Kommen meine Natur mich erkennen lehrt.‹ Darauf versetzte der Fuchs: ›O Hahn, so hast du etwas Göttliches in dir, dass du zukünftig kommende Dinge weißt!‹ Und alsbald begann der Fuchs zu tanzen. Jetzt fragte der Hahn: ›Herr Fuchs, warum tanzest du?‹ Ihm antwortete der Fuchs: ›So du singest, o weiser Meister, so ist billig, dass ich tanze, denn es ziemet, sich zu freuen mit den Fröhlichen. O Hahn, du edler Fürst aller Vögel, du bist nicht allein begabt zu fliegen in den Lüften, nein, auch hohe Prophetengaben lieh dir die Natur! O wie bevorzugte sie dich vor allen andern Tieren! Wie glücklich wär‘ ich, gönntest du mir deine Gunst! Wie gerne küsst‘ ich dein weisheitdurchdrungenes verehrtes Haupt! O wie beneidenswert, wenn ich dann künden könnte meinen Freunden: ich war der Glückliche, dem ein Prophet sein Haupt zum Kusse hingeneigt!‹ Der alberne Hahn glaubte dem Schmeichelwort des arglistigen Fuchses, flog vom Baum und hielt ihm seinen Kopf zum Küssen hin. Mit einem Schnapper war er abgebissen, und lachend sprach der Fuchs: ›Ich habe den Propheten ohne alle Vernunft befunden.‹«
Als das Mäuslein diese Fabel geendigt hatte, fuhr es fort, zum Raben zu sprechen: »Ich habe dir dies nicht gesagt, weil ich glaube, dass ich der Hahn sei und du der Fuchs, ich die Speise und du der Fresser, vielmehr will ich glauben, dass deine Worte nicht mit zweigespaltener Schlangenzunge gesprochen sind.« Und darauf ging die Maus in die Öffnung ihres Türloches. Der Rabe fragte: »Warum stellst du dich unter die Türe? Was macht dich so zaghaft, zu mir herauszugeben? Hegst du immer noch Furcht vor mir?« Darauf antwortete das Mäuslein: »Ich habe meinen Glauben und mein Vertrauen auf dich gesetzt, denn du gefällst mir, und nicht Furcht vor deiner Unredlichkeit hält mich ab, hervorzukommen. Aber du hast viele Gesellen deiner Art, doch vielleicht nicht deines Gemütes, und deren Freundschaft ist nicht mit mir, wie deine. Sieht mich einer, so muss ich fürchten, dass er mich frisst.« Dagegen sprach der Rabe: »Zu treuer Genossenschaft gehört doch vor allem, dass einer sei seines Genossen treuer Freund und Feind seines Feindes; sei gewiss, o Freundin Sambar, dass mir kein Freund lebt, der nicht ebenso treuer Freund dir sein soll, wie ich selbst. Auch habe ich Macht und Kraft genug, dich zu schützen und zu schirmen.« Nun endlich ging das Mäuslein Sambar hervor aus seinem Löchlein und verschwor sich mit dem Raben zu einem unverbrüchlichen Freundschaftsbündnis, und als das geschehen war, wohnten sie bei- und nebeneinander friedsam und freundlich und erzählten einander alle Tage schöne Märchen.
Endlich aber zu einer Zeit sprach der Rabe zur Maus: »Höre, meine liebe Freundin Sambar, deine Wohnung ist doch gar laut und zu nahe am Weg; ich besorge, es kommt einmal einer, der dich oder mich schießt oder schädigt, auch fällt es mir schwer, hier meine Nahrung zu finden. Aber ich weiß einen lustigen und nützlicheren Aufenthalt, da gibt es Wasser und Wiesen, Früchte und Futter, und dort in dem Wasser wohnt auch noch eine alte Freundin von mir, gar eine treue Genossin; ich wünschte, du zögest mit mir an jenen Ort.«
»Das will ich dir gern zuliebe tun«, sprach die Maus, »denn ich bin hier selbst scheu und halte mich nicht recht sicher, deshalb siehst du auch die vielen Ein- und Ausgänge meiner Wohnung. Glaube nur, lieber Freund, mir sind schon gar mancherlei Fährlichkeiten begegnet. davon ich dir erzählen will, wenn wir an den neuen Aufenthalt kommen.«
Darauf nahmen beide Abschied von ihrem alten Wohnort, und der Rabe fasste die Maus am Schwänzlein in seinen Schnabel und flog mit ihr dahin an den Ort, den er meinte. Da guckte ein Tier mit dem Kopf aus dem Wasser, das erschrak vor der Maus, denn es erkannte sie nicht, wie der Rabe sie aus dem Schnabel ließ, und tauchte schnell unter. Der Rabe flog auf einen Baum und rief »Korax, Korax!« Da kam das Tier aus dem Wasser hervor, das war seine Freundin, eine Schildkröte, die freute sich, den Raben wiederzusehen und fragte ihn, was ihn zu seinem langen Außenbleiben bewogen? Da erzählte ihr der Rabe die Geschichte von der Taube und der Maus und stellte seine Freundinnen einander vor, und die Schildkröte verwundene sich über die hohe Vernunft der Maus, kroch zu ihr, gab ihr die Hand und freute sich sehr, ihre Bekanntschaft zu machen. Hernach bat der Rabe die Maus, ihm und seiner alten Freundin doch ihre Lebensgeschichte zu erzählen, und sie ließ sich dazu gern bereit und willig finden und erzählte, wie folgt:Die Lebensgeschichte der Maus Sambar

Hintergründe
Interpretationen
Analyse
„Der Hahn und der Fuchs“ ist eine bekannte Fabel, die von Ludwig Bechstein in seiner Sammlung von Märchen und Sagen erzählt wird. Die Geschichte handelt von einem listigen Fuchs und einem leichtgläubigen Hahn. Der Fuchs nutzt süßliche Schmeicheleien, um den Hahn aus seiner sicheren Position auf dem Baum zu locken, mit dem Ziel, ihn zu fangen. Diese Erzählung zeigt, wie gefährlich es sein kann, auf falsche Komplimente hereinzufallen und sich in falscher Sicherheit zu wiegen.
Im zweiten Teil, der von der Maus Sambar handelt, wird die Freundschaft zwischen einer Maus und einem Raben beschrieben. Der Rabe versichert der Maus, dass sie sich sicher fühlen kann, da ihre Freundschaft stark ist und er sie verteidigen wird. Sie finden ein neues Zuhause bei einer alten Freundin des Raben, einer Schildkröte. Diese Geschichte geht über die einfache Fabel hinaus, indem sie das Thema von Freundschaft und gegenseitigem Schutz behandelt.
Zusammen zeigen beide Geschichten moralische Lektionen. Der erste Teil warnt vor der Naivität und der Gefahr, Fremden zu vertrauen, wenn sie durch Komplimente geblendet werden. Der zweite Teil betont die Bedeutung von Vertrauen und wahrer Freundschaft, wobei Hilfe und Zusammenhalt Sicherheitsgefühl und Geborgenheit schaffen können.
Insgesamt vereint Bechstein Fabel und Märchen, um verschiedene moralische Botschaften zu übermitteln, die sowohl für Kinder als auch für Erwachsene lehrreich sein können.
Die Fabel „Der Hahn und der Fuchs“ von Ludwig Bechstein erzählt von einem listigen Fuchs, der einen Hahn durch Schmeichelei und Täuschung dazu bringt, vom sicheren Baum herunterzukommen. Der Fuchs nutzt die Eitelkeit und Naivität des Hahns aus, um ihn letztlich zu fangen und zu fressen. Die Moral dieser Geschichte ist eine Warnung vor Schmeicheleien und falschem Vertrauen.
Die anschließende Erzählung mit der Maus Sambar und dem Raben erweitert dieses Thema um eine friedlichere Interpretation. Das Mäuslein, gegenüber dem Raben zunächst misstrauisch, merkt an, dass es die Fabel erzählt hat, um zu prüfen, ob die Worte des Raben ehrlich sind. Durch den Dialog zwischen der Maus und dem Raben wird ein Gegensatz zur Fabel geschaffen: Während der Hahn dem Fuchs blind vertraut und somit seine Leichtgläubigkeit teuer bezahlt, nähert sich die Maus dem Raben mit Vorsicht und wachsenden Vertrauen.
Das zweite Narrativ betont die Wichtigkeit von Vertrauen und sorgfältiger Auswahl von Freunden. Die Maus ist zwar anfangs misstrauisch, aber sie lernt, den Raben als Freund zu schätzen, nachdem dieser sein Wohlwollen beweist und sein Versprechen wahr macht, sie zu beschützen. Hierbei wird auch die Bedeutung echter Freundschaft unterstrichen. Anders als in der Beziehung zwischen dem Hahn und dem Fuchs, die auf Täuschung basiert, entwickelt sich zwischen der Maus und dem Raben eine harmonische und gegenseitig unterstützende Freundschaft.
Diese unterschiedlichen Interpretationen der Fabel und der Erzählung mit der Maus und dem Raben zeigen auf, dass man sowohl vorsichtig sein sollte vor falschen Freunden als auch vertrauensvolle Beziehungen pflegen sollte, in denen Vertrauen verdient und Freundschaft gegenseitig ist.
Die Erzählung „Der Hahn und der Fuchs“ von Ludwig Bechstein ist ein klassisches Märchen, das durch eine fabelhafte Struktur belehrt und unterhält. Es lässt sich durch mehrere stilistische und linguistische Merkmale charakterisieren:
Fabelhaftigkeit und Moral: Das Märchen bedient sich des Fabelmotivs, indem es Tiere als Hauptfiguren einsetzt, die menschliche Eigenschaften und Verhaltensweisen verkörpern. Der Fuchs steht für List und Verschlagenheit, während der Hahn die Naivität und Leichtgläubigkeit repräsentiert. Die Moral der Geschichte wird am Ende der Fabel durch die Worte des Fuchses vermittelt, der den „Propheten ohne alle Vernunft“ bezeichnet. Dies verdeutlicht die Lehre, dass man nicht jedem schmeichelnden Wort Glauben schenken sollte.
Dialog und Personifikation: Die Geschichte wird vor allem durch dynamische Dialoge zwischen den Tieren vorangetrieben, die ihnen menschliche Züge und kognitive Fähigkeiten verleihen. Der Fuchs verwendet geschickte Rhetorik, um den Hahn zu manipulieren, und der Hahn fällt auf die schmeichelhaften Worte herein.
Narrative Rahmenstruktur: Die Fabel ist eingebettet in eine Rahmenerzählung, in der eine Maus dem Raben diese Geschichte erzählt. Diese Struktur bietet eine zusätzliche Ebene, die den impliziten Vergleich zwischen den Charakteren der Fabel und der Rahmenhandlung ermöglicht.
Sprache und Stil: Die Sprache ist gekennzeichnet durch eine altertümliche und formelle Wortwahl, die typisch für Märchen und Fabeldichtungen des 19. Jahrhunderts ist. Der Stil ist prägnant, mit einer klaren Lineführung, die sich auf das Wesentliche der moralischen Aussage konzentriert.
Metaphern und Symbolik: Tiere dienen als Metaphern, um menschliche Schwächen und Tugenden zu illustrieren. Der Kirschbaum, auf dem der Hahn sitzt, könnte symbolisch für einen vermeintlich sicheren Ort stehen, der sich jedoch als trügerisch herausstellt.
Insgesamt nutzt Bechsteins „Der Hahn und der Fuchs“ die Tradition der Fabelerzählung, um eine zeitlose Botschaft über Misstrauen und die Gefahr der Täuschung zu vermitteln, während die Figuren des Raben und der Maus in der Rahmenhandlung zusätzliche Dimensionen für Interpretation und Reflexion eröffnen.
Informationen für wissenschaftliche Analysen
Kennzahl | Wert |
---|---|
Lesbarkeitsindex nach Amstad | 77.5 |
Lesbarkeitsindex nach Björnsson | 34.7 |
Flesch-Reading-Ease Index | 66.6 |
Flesch–Kincaid Grade-Level | 8.6 |
Gunning Fog Index | 9.5 |
Coleman–Liau Index | 12 |
SMOG Index | 10.3 |
Automated Readability Index | 10.1 |
Zeichen-Anzahl | 3.293 |
Anzahl der Buchstaben | 2.632 |
Anzahl der Sätze | 30 |
Wortanzahl | 556 |
Durchschnittliche Wörter pro Satz | 18,53 |
Wörter mit mehr als 6 Buchstaben | 90 |
Prozentualer Anteil von langen Wörtern | 16.2% |
Silben gesamt | 798 |
Durchschnittliche Silben pro Wort | 1,44 |
Wörter mit drei Silben | 45 |
Prozentualer Anteil von Wörtern mit drei Silben | 8.1% |