Vorlesezeit für Kinder: 21 min
Achtung: Es handelt sich um eine Grusel-Geschichte.
Es war einmal ein Räuber, der hauste in einem großen Walde und lebte mit seinen Gesellen in Schluchten und Felsenhöhlen, und wenn Fürsten, Herrn und reiche Kaufleute auf der Landstraße zogen, so lauerte er ihnen auf und raubte ihnen Geld und Gut. Als er zu Jahren kam, so gefiel ihm das Handwerk nicht mehr und es gereute ihn dass er so viel Böses getan hatte.
Er hub also an ein besseres Leben zu führen, lebte als ein ehrlicher Mann, und tat Gutes wo er konnte. Die Leute wunderten sich dass er sich so schnell bekehrt hatte, aber sie freuten sich darüber. Er hatte drei Söhne, als die herangewachsen waren: rief er sie vor sich und sprach „liebe Kinder, sagt mir was für ein Handwerk wollt ihr erwählen, womit ihr euch ehrlich ernähren könnt?“ Die Söhne besprachen sich mit einander und gaben ihm dann zur Antwort „der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, wir wollen uns ernähren, wie ihr euch ernährt habt: wir wollen Räuber werden.
Ein Handwerk, wobei wir von Morgen bis Abend uns abarbeiten und doch wenig Gewinn und ein mühseliges Leben haben, das gefällt uns nicht.“ – „Ach, liebe Kinder,“ antwortete der Vater, „warum wollt ihr nicht ruhig leben und mit wenigem zufrieden sein; Ehrlich währt am längsten. Die Räuberei ist eine böse und gottlose Sache, die zu einem schlimmen Ende führt: an dem Reichtum, den ihr zusammenbringt, habt ihr keine Freude: ich weiß ja wie es mir dabei zu Mut gewesen ist. Ich sage euch es nimmt einen schlechten Ausgang: der Krug geht so lange zu Wasser bis er bricht; ihr werdet zuletzt ergriffen, und an den Galgen gehenkt.“ Die Söhne aber achteten nicht auf seine Ermahnungen und blieben bei ihrem Vorsatz.
Nun wollten die drei Jünglinge gleich ihr Probestück machen. Sie wussten dass die Königin in ihrem Stall ein schönes Pferd hatte, das von großem Wert war: das wollten sie ihr stehlen. Sie wussten auch dass das Pferd kein anders Futter fraß als ein saftiges Gras, das allein in einem feuchten Wald wuchs. Sie gingen also hinaus, schnitten das Gras ab und machten einen großen Bündel daraus, in welchen die beiden ältesten den jüngsten und kleinsten so geschickt versteckten, dass er nicht konnte gesehen werden, und trugen den Bündel auf den Markt.
Der Stallmeister der Königin kaufte das Futter, ließ es zu dem Pferd in den Stall tragen und hinwerfen. Als es Mitternacht war und jedermann schlief, machte sich der Kleine aus dem Grasbündel heraus, band das Pferd ab, zäumte es mit dem goldenen Zaum und legte ihm das goldgestickte Reitzeug an: und die Schellen, die daran hingen, verstopfte er mit Wachs, damit sie keinen Klang gäben.
Dann öffnete er die verschlossene Pforte und ritt auf dem Pferd in aller Eile fort nach dem Ort, wohin ihn seine Brüder beschieden hatten. Allein die Wächter in der Stadt bemerkten den Dieb, eilten ihm nach, und als sie ihn draußen mit seinen Brüdern fanden, nahmen sie alle drei gefangen und führten sie in das Gefängnis. Am anderen Morgen wurden sie vor die Königin geführt, und als diese sah dass es drei schöne Jünglinge waren, so forschte sie nach ihrer Herkunft und vernahm dass es die Söhne des alten Räubers wären, der seine Lebensweise geändert und als ein gehorsamer Untertan gelebt hatte.
Sie ließ sie also wieder in das Gefängnis zurückführen und bei dem Vater anfragen ob er seine Söhne lösen wollte. Der Alte kam und sagte „meine Söhne sind nicht wert dass ich sie mit einem Pfennig löse.“ Da sprach die Königin zu ihm „du bist ein weitbekannter, verrufener Räuber gewesen, erzähle mir das merkwürdigste Abenteuer aus deinem Räuberleben, so will ich dir deine Kinder wiedergeben.“
Als der Alte das vernahm, hub er an „Frau Königin, hört meine Rede, ich will euch ein Ereignis erzählen, was mich mehr erschreckt hat als Feuer und Wasser. Ich brachte in Erfahrung dass in einer wilden Waldschlucht zwischen zwei Bergen, zwanzig Meilen von den Menschen entfernt, ein Riese lebte, der einen großen Schatz, viel tausend Mark Silber und Gold besäße. Ich wählte also aus meinen Gesellen so viele aus, dass unser hundert waren, und wir zogen hin.
Es war ein langer mühsamer Weg zwischen Felsen und Abgründen. Wir fanden den Riesen nicht zu Haus, waren froh darüber, und nahmen von dem Gold und Silber so viel wir tragen konnten. Als wir damit uns auf den Heimweg machen wollten, und ganz sicher zu sein glaubten, da kam der Riese mit zehn anderen Riesen unversehens daher und nahm uns alle gefangen. Sie teilten uns unter sich aus: jeder erhielt zehn von uns, und ich fiel mit neun meiner Gesellen dem Riesen zu, dem wir seinen Schatz genommen hatten. Er band uns die Hände auf den Rücken und trieb uns wie Schafe in seine Felsenhöhle.
Wir waren bereit uns mit Geld und Gut zu lösen, er aber antwortete „eure Schätze brauche ich nicht, ich will euch behalten und euer Fleisch verzehren, das ist mir lieber.“ Dann befühlte er uns alle, wählte einen aus und sprach „der ist der fetteste, mit dem will ich den Anfang machen.“ Dann schlug er ihn nieder, warf das zerschnittene Fleisch in einen Kessel mit Wasser, den er über das Feuer setzte, und als es gesotten war, hielt er seine Mahlzeit.
So aß er jeden Tag einen von uns, und weil ich der magerste war, so sollte ich der letzte sein. Als nun meine neun Gesellen aufgezehrt waren, und die Reihe an mich kam, so besann ich mich auf eine List. „Ich sehe wohl dass du böse Augen hast,“ sprach ich zu ihm, „und am Gesicht leidest: ich bin ein Arzt, und bin in meiner Kunst wohl erfahren, ich will dir deine Augen heilen, wenn du mir mein Leben lassen willst.“ Er sicherte mir mein Leben zu, wenn ich das vermochte.
Er gab mir alles was ich dazu verlangte. Ich tat Öl in einen Kessel, mengte Schwefel, Pech, Salz, Arsenik und andere verderbliche Dinge hinein, und stellte den Kessel über das Feuer, als wollte ich ein Pflaster für seine Augen bereiten. Sobald das Öl im Sieden war, musste der Riese sich niederlegen, und ich goss ihm alles, was im Kessel war, auf die Augen, über den Hals und den Leib, so dass er das Gesicht völlig verlor und die Haut am ganzen Leib verbrannte und zusammenschrumpfte.
Er fuhr mit entsetzlichem Geheul in die Höhe, warf sich wieder zur Erde, wälzte sich hin und her, und schrie und brüllte dabei wie ein Löwe oder ein Ochse. Dann sprang er in Wut auf, packte eine große Keule, und in dem Haus umher laufend, schlug er auf die Erde und gegen die Wand und dachte mich zu treffen. Entfliehen konnte ich nicht, denn das Haus war überall von hohen Mauern umgeben, und die Türen waren mit eisernen Riegeln verschlossen.
Ich sprang aus einem Winkel in den anderen, endlich wusste ich mir nicht anders zu helfen, ich stieg auf einer Leiter bis zu dem Dach, und hing mich mit beiden Händen an den Hahnenbalken. Da hing ich einen Tag und eine Nacht, als ich es aber nicht länger aushalten konnte, so stieg ich wieder herab und mischte mich unter die Schafe. Da musste ich behänd sein, und immer mit den Tieren zwischen seinen Beinen hindurchlaufen ohne dass er mich gewahr ward.
Endlich fand ich in einer Ecke unter den Schafen die Haut eines Widders liegen, ich schlüpfte hinein und wusste es so zu machen, dass mir die Hörner des Tiers gerade auf dem Kopf standen. Der Riese hatte die Gewohnheit, wenn die Schafe hinaus auf die Weide gehen sollten, so ließ er sie vorher durch seine Beine laufen. Da zählte er sie, und welches am feistesten war, das packte er, kochte es und hielt damit seine Mahlzeit. Ich wäre bei dieser Gelegenheit gerne davon gelaufen und drängte mich durch seine Beine, wie die Schafe taten: als er mich aber packte und merkte dass ich schwer war, so sprach er „du bist feist, du sollst mir heute meinen Bauch füllen.“ Ich tat einen Satz und entsprang ihm aus den Händen, aber er ergriff mich wieder.
Ich entkam nochmals, aber er packte mich auf’s neue, und so ging es siebenmal. Da ward er zornig und sprach „lauf hin, die Wölfe mögen dich fressen, du hast mich genug genarrt.“ Als ich draußen war, warf ich die Haut ab, rief ihm spöttisch zu dass ich ihm doch entsprungen wäre und höhnte ihn. Er zog einen Ring vom Finger und sprach „nimm diesen goldenen Ring als eine Gabe von mir, du hast ihn wohl verdient. Es ziemt sich nicht, dass ein so listiger und behänder Mann unbeschenkt von mir gehe.“
Ich nahm den Ring und steckte ihn an meinen Finger, aber ich wusste nicht dass ein Zauber darin lag. Von dem Augenblick an, wo er mir am Finger saß, musste ich unaufhörlich rufen „hier bin ich! hier bin ich!“ ich mochte wollen oder nicht. Da der Riese daran merken konnte wo ich mich befand, so lief er mir in den Wald nach. Dabei rannte er, weil er blind war, jeden Augenblick gegen einen Ast oder einen Stamm und fiel nieder wie ein mächtiger Baum: aber er erhob sich schnell wieder, und da er lange Beine hatte und große Schritte machen konnte, so holte er mich immer wieder ein, und war mir schon ganz nahe, denn ich rief ohne Unterlass „hier bin ich! hier bin ich.“
Ich merkte wohl dass der Ring die Ursache meines Geschreies war und wollte ihn abziehen, aber ich vermochte es nicht. Da blieb mir nichts anderes übrig, ich biss mir mit meinen Zähnen den Finger ab. In dem Augenblick hörte ich auf zu rufen, und entlief glücklich dem Riesen. Zwar hatte ich meinen Finger verloren, aber ich hatte doch mein Leben behalten.“
„Frau Königin,“ sprach der Räuber, „ich habe euch diese Geschichte erzählt, um einen meiner Söhne zu erlösen, jetzt will ich, um den zweiten zu befreien, berichten was sich weiter zutrug. Als ich den Händen des Riesen entronnen war, irrte ich in der Wildnis umher und wusste nicht wo ich mich hinwenden sollte. Ich stieg auf die höchsten Tannen und auf die Gipfel der Berge, aber wohin ich blickte, weit und breit war kein Haus, kein Acker, keine Spur von menschlichem Dasein, überall nichts als eine schreckliche Wildnis.
Ich stieg von himmelhohen Bergen herab in Täler, die den tiefsten Abgründen zu vergleichen waren. Mir begegneten Löwen, Bären, Büffel, Waldesel, giftige Schlangen und scheußliches Gewürm. Ich sah wilde, behaarte Waldmenschen, Leute mit Hörnern und Schnäbeln, so entsetzlich, dass mir noch jetzt schaudert, wenn ich daran zurückdenke. Ich zog immer weiter, Hunger und Durst quälten mich, und ich musste jeden Augenblick befürchten vor Müdigkeit umzusinken. Endlich, eben als die Sonne untergehen wollte, kam ich auf einen hohen Berg, da sah ich in einem öden Thal einen Rauch aufsteigen, wie aus einem angezündeten Backofen.
Ich lief so schnell ich konnte den Berg herab nach dem Rauch zu: als ich unten ankam, sah ich drei tote Männer, die waren an dem Ast eines Baumes aufgehängt. Ich erschrak, denn ich dachte ich würde in die Gewalt eines anderen Riesen kommen, und warum mein Leben besorgt. Doch fasste ich mir ein Herz, ging weiter, und fand ein kleines Haus, dessen Türe weit offen stand: bei dem Feuer des Herds saß da eine Frau mit ihrem Kinde.
Ich trat ein, grüßte sie, und fragte warum sie hier so allein säße und wo ihr Mann sich befände. Ich fragte auch ob es noch weit bis dahin wäre, wo Menschen wohnten. Sie antwortete mir, das Land, wo Menschen wohnten, das läge in weiter Ferne, und erzählte mit weinenden Augen in voriger Nacht wären die wilden Waldungeheuer gekommen und hätten sie und das Kind von der Seite ihres Mannes weggeraubt und in diese Wildnis gebracht.
Dann wären sie am Morgen wieder ausgezogen und hätten ihr geboten das Kind zu töten und zu kochen, weil sie es, wenn sie zurückkämen, aufessen wollten. Als ich das gehört hatte, empfand ich großes Mitleid mit der Frau und dem Kinde und beschloss sie aus ihrer Not zu erlösen. Ich lief fort zu dem Baum, an welchem die drei Diebe aufgehängt waren, nahm den Mittleren, der wohlbeleibt war, herab und trug ihn in das Haus.
Ich zerteilte ihn in Stücke und sagte der Frau sie sollte ihn den Riesen zu essen geben. Das Kind aber nahm ich, und versteckte es in einen hohlen Baum, dann verbarg ich mich selbst hinter das Haus, so dass ich bemerken konnte wo die wilden Menschen herkämen und ob es Not wäre, der Frau selbst zu Hilfe zu eilen. Als die Sonne untergehen wollte, sah ich die Ungeheuer von dem Berge herablaufen: sie waren gräulich und furchtbar anzusehen, den Affen an Gestalt ähnlich. Sie schleppten einen toten Leib hinter sich her, aber ich konnte nicht sehen wer es war.
Als sie in das Haus kamen, zündeten sie ein großes Feuer an, zerrissen den blutigen Leib mit ihren Zähnen und verzehrten ihn. Darnach nahmen sie den Kessel, in dem das Fleisch des Diebes gekocht war, vom Feuer, und zerteilten die Stücke unter sich zum Abendessen. Als sie fertig waren, fragte einer, der ihr Oberhaupt zu sein schien, die Frau ob das, was sie gegessen hätten, das Fleisch ihres Kindes gewesen wäre. Die Frau sagte „ja.“ Da sprach das Ungeheuer „ich glaube du hast dein Kind versteckt und uns einen von den Dieben gekocht, die an dem Ast hängen.“
Er ließ drei von seinen Gesellen hinlaufen und ihm von einem jeden der drei Diebe ein Stück Fleisch bringen, damit er sähe dass sie noch alle dort wären. Als ich das hörte lief ich schnell voraus und hing mich mit meinen Händen, mitten zwischen die zwei Diebe, an das Seil, von dem ich den dritten abgenommen hatte. Als nun die Ungeheuer kamen, schnitten sie einem jeden ein Stück Fleisch aus den Lenden. Auch mir schnitten sie ein Stück heraus, aber ich duldete es ohne einen Laut von mir zu geben. Ich habe zum Zeugnis noch die Narbe an meinem Leib.
Hier schwieg der Räuber einen Augenblick und sprach dann „Frau Königin, ich habe euch dies Abenteuer erzählt für meinen zweiten Sohn, jetzt will ich euch für den dritten den Schluss der Geschichte berichten. Als das wilde Volk mit den drei Stücken Fleisch fortgelaufen war, so ließ ich mich wieder herab und verband meine Wunde mit Streifen von meinem Hemd so gut ich konnte. Doch das Blut ließ sich nicht stillen, sondern strömte an mir herab. Aber ich achtete nicht darauf, sondern dachte nur wie ich der Frau mein Versprechen halten, und sie und das Kind retten wollte.
Ich eilte also wieder zu dem Haus zurück, hielt mich verborgen, und horchte auf das was geschah, aber ich konnte mich nur mit Mühe aufrecht erhalten: mich schmerzte die Wunde, und ich war von Hunger und Durst ganz abgemattet. Indessen versuchte der Riese die drei Stücke Fleisch, die ihm gebracht waren, und als er das gekostet hatte, welches mir ausgeschnitten und noch blutig war, so sprach er „lauft hin und bringt mir den mittleren Dieb, sein Fleisch ist noch frisch und behagt mir.“
Als ich das hörte, eilte ich zurück zu dem Galgen und hing mich wieder an das Seil zwischen die zwei Toten. Bald darauf kamen die Ungeheuer, nahmen mich von dem Galgen herab und schleiften mich über Dornen und Distel zu dem Haus, wo sie mich auf den Boden hinstreckten. Sie schärften ihre Zähne, wetzten ihre Messer über mir und bereiteten sich mich zu schlachten und zu essen. Eben wollten sie Hand anlegen, als plötzlich ein solches Ungewitter mit Blitz, Donner und Wind sich erhob, dass die Ungeheuer selbst in Schrecken gerieten und mit grässlichem Geschrei zu den Fenstern, Türen und zum Dach hinausfuhren und mich auf dem Boden liegen ließen.
Nach drei Stunden begann es Tag zu werden, und die klare Sonne stieg empor. Ich machte mich mit der Frau und dem Kinde auf, wir wanderten vierzig Tage durch die Wildnis und hatten keine andere Nahrung als Wurzeln Beeren und Kräuter, die im Walde wachsen. Endlich kam ich wieder unter Menschen und brachte die Frau mit dem Kinde zu ihrem Mann zurück: wie groß seine Freude war, kann sich jeder leicht denken.“ Damit war die Geschichte des Räubers zu Ende. „Du hast durch die Befreiung der Frau und des Kindes viel Böses wieder gut gemacht,“ sprach die Königin zu ihm, „ich gebe dir deine drei Söhne frei.“
Hintergründe zum Märchen „Der Räuber und seine Söhne“
„Der Räuber und seine Söhne“ (KHM 191a) ist ein Märchen, das in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm in der 5. und 6. Auflage erschienen ist. Es stammt aus Moriz Haupts Zeitschrift „Altdeutsche Blätter“ von 1836. Das Märchen ist weniger bekannt als viele andere Geschichten der Brüder Grimm, da es in späteren Auflagen der Sammlung nicht mehr enthalten war.
Herkunft: Die genaue Herkunft von „Der Räuber und seine Söhne“ ist schwer festzustellen. Wie bei vielen anderen Märchen der Brüder Grimm stammt es wahrscheinlich aus einer mündlichen Erzähltradition, die sich über Jahrhunderte entwickelt hat. Es wurde von den Brüdern in einer ihrer späteren Ausgaben ihrer Sammlung aufgenommen, möglicherweise weil sie fanden, dass es einen interessanten Erzählstrang oder eine ungewöhnliche moralische Botschaft enthielt. Es wird vermutet, dass viele Versionen des Märchens auf Johannes de Alta Silvas Dolopathos zurückgehen. Dies könnte einer der Gründe gewesen sein, warum die Brüder Grimm das Märchen in der 7. Auflage ihrer Sammlung wieder entfernten. Eine Studie, die eine phylogenetische Rekonstruktion von Handlungselementen verschiedener Überlieferungen des Märchens durchführte, ergab, dass die Version der Walliser der prähistorischen, europäischen Ursprungsversion am nächsten kommt. Dies deutet darauf hin, dass die Geschichte eine lange und komplexe Geschichte der Verbreitung und Anpassung in verschiedenen Kulturen und Zeiten hat.
Rezeption und Bedeutung: Da „Der Räuber und seine Söhne“ nicht in allen Ausgaben der Grimm’schen Märchen enthalten ist und keine klare moralische Botschaft hat, ist es weniger bekannt und hat weniger Aufmerksamkeit erhalten als andere Märchen der Gebrüder Grimm. Trotzdem ist es ein interessantes Beispiel dafür, wie Märchen manchmal die Komplexität der menschlichen Natur und die Herausforderungen des Lebens in einer harten und unsicheren Welt widerspiegeln können.
Ähnlichkeiten mit anderen Märchen: Die Geschichte zeigt Ähnlichkeiten zur Sage des Riesen Polyphem aus Homers Odyssee. Die Brüder Grimm waren beeindruckt von der unabhängigen Darstellung dieser Episode in ihrem Märchen und glaubten an eine nebenhomerische Erzähltradition von Polyphem.
Internationale Verbreitung: Wilhelm Grimm sammelte verschiedene Versionen des Märchens in Sprachen wie Serbisch, Rumänisch, Estnisch, Finnisch und Russisch. Dies zeigt die Verbreitung und Beliebtheit der Geschichte in unterschiedlichen Kulturen und Sprachräumen.
Moral und Botschaft: Das Märchen behandelt Themen wie Reue, Vergebung und die Möglichkeit der Läuterung nach einem Leben voller Verbrechen. Es zeigt auch die Bedeutung von List und Mut im Angesicht von Gefahr und Unrecht. „Der Räuber und seine Söhne“ unterscheidet sich von anderen Märchen der Gebrüder Grimm, da es keine klare moralische Botschaft oder Lektion enthält. In vielen Märchen werden böse Taten bestraft und gute Taten belohnt, doch in dieser Geschichte werden die Räuber am Ende nicht zur Rechenschaft gezogen. Es kann als eine realistische Darstellung des Lebens in einer rauen und gefährlichen Welt interpretiert werden, in der Menschen manchmal unethische Entscheidungen treffen, um zu überleben.
Interpretationen zum Märchen „Der Räuber und seine Söhne“
„Der Räuber und seine Söhne“ (KHM 191a) von den Gebrüder Grimm kann auf verschiedene Weise interpretiert werden. Hier sind einige mögliche Interpretationen:
Reue und Wiedergutmachung: Der Räuber in der Geschichte bereut seine kriminelle Vergangenheit und versucht, sich zu bessern. Die Erzählung zeigt, dass es nie zu spät ist, sein Leben zu ändern und auf den rechten Weg zurückzukehren. Die Freilassung seiner Söhne am Ende zeigt, dass Wiedergutmachung möglich ist und Vergebung erreicht werden kann.
Die Bedeutung der Familie: Trotz ihrer kriminellen Neigungen steht der Räuber zu seinen Söhnen und versucht, sie vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren. Die Bindung zwischen Eltern und Kindern ist ein zentrales Thema des Märchens.
List und Überleben: Der Räuber überlebt in seinen Geschichten durch seine Klugheit und List, indem er sich den verschiedenen Gefahren und Ungeheuern entzieht. Diese Aspekte zeigen, dass Intelligenz und Einfallsreichtum wichtige Fähigkeiten für das Überleben in einer gefährlichen Welt sind.
Gerechtigkeit und Strafe: Die Söhne des Räubers werden für ihre Verbrechen gefasst und müssen sich der Königin stellen. Diese Handlungselemente zeigen die Bedeutung von Gerechtigkeit und der Notwendigkeit, für begangene Verbrechen zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Die Macht des Erzählens: Die Geschichten, die der Räuber der Königin erzählt, sind es letztendlich, die seine Söhne retten. Dies zeigt die Macht des Erzählens und wie Geschichten Einfluss auf das Leben und das Schicksal der Menschen haben können.
Die Dualität von Gut und Böse: Die Figur des Räubers zeigt, dass Menschen sowohl gute als auch schlechte Seiten haben können. Obwohl er einst ein gefürchteter Verbrecher war, ist er auch in der Lage, sein Leben zu ändern und seine Söhne zu retten. Dies zeigt, dass Menschen nicht eindimensional sind und dass Gut und Böse in jedem von uns existieren können.
Diese Interpretationen sind nur einige der vielen möglichen Lesarten des Märchens „Der Räuber und seine Söhne“. Die Vielfalt der Themen und Motive zeigt die Komplexität und Tiefe dieser Erzählung.
Adaptionen zum Märchen „Der Räuber und seine Söhne“
Da „Der Räuber und seine Söhne“ (KHM 191a) von den Gebrüder Grimm ein weniger bekanntes Märchen ist, gibt es weniger Adaptionen im Vergleich zu den berühmteren Märchen der Grimms. Allerdings wurden einige Adaptionen und Bearbeitungen des Märchens erstellt, die sich auf verschiedene Aspekte der Geschichte konzentrieren:
Theaterstücke und Lesungen: Einige lokale Theatergruppen und Schulen haben das Märchen als Bühnenstück adaptiert oder in Lesungen präsentiert. Diese Aufführungen variieren in Stil und Interpretation und bieten oft eine moderne Perspektive auf die Geschichte.
Kinderbücher und illustrierte Ausgaben: Es gibt verschiedene Ausgaben des Märchens in Buchform, die sich an Kinder und Jugendliche richten. Diese Versionen sind oft illustriert und bieten eine visuelle Interpretation der Geschichte, die die Phantasie der jungen Leser anregt.
Hörspiele und Podcasts: Einige Hörspielproduktionen und Podcasts haben das Märchen als Audioerzählung adaptiert. Diese Versionen erlauben es den Zuhörern, sich auf die erzählerischen Elemente der Geschichte zu konzentrieren und ihre eigenen Bilder im Kopf zu entwickeln.
Kurzfilme und Animationen: Es gibt einige unabhängige Filmemacher und Animatoren, die das Märchen als Kurzfilm oder Animation adaptiert haben. Diese Adaptionen können sowohl traditionelle als auch moderne Interpretationen der Geschichte bieten und die Handlung auf kreative Weise erweitern oder verändern.
Obwohl „Der Räuber und seine Söhne“ nicht so weit verbreitet ist wie andere Grimm’sche Märchen, bietet es dennoch interessante Themen und Elemente, die sich für verschiedene Adaptionen und Bearbeitungen eignen. Die oben genannten Beispiele zeigen, dass das Märchen in verschiedenen Medien und Formaten neu interpretiert werden kann.
Zusammenfassung der Handlung
Im Märchen „Der Räuber und seine Söhne“ (KHM 191a) von den Gebrüder Grimm geht es um einen alten Räuber, der sein Handwerk bereut und sich bessert. Seine drei Söhne wollen jedoch weiterhin Räuber sein. Der Vater rät ihnen ab, aber sie ignorieren seinen Rat und stehlen das Pferd der Königin, indem sich der jüngste Sohn in einem Grasbündel versteckt, das sie dem Stallmeister verkaufen.
Die drei Söhne werden gefasst, und die Königin fragt den Vater, ob er sie freikaufen möchte. Als er sagt, sie seien es nicht wert, will die Königin nur die merkwürdigste Geschichte aus seinem Räuberleben hören. Der Räuber erzählt daraufhin, wie er und seine Bande die Wohnung eines Riesen plünderten und gefangen genommen wurden. Er konnte jedoch durch List und Mut entkommen, indem er sich als Arzt ausgab und den Riesen blendete. Schließlich entkam er, indem er seinen verzauberten Ring-finger abbiß.
Der Räuber erzählt für seinen zweiten Sohn weiter, wie er in der Wildnis ein Haus fand, in dem eine geraubte Frau und ihr Kind von Ungeheuern gefangen gehalten wurden. Er rettet die Frau und das Kind, indem er einen der getöteten Männer als ihr Kind ausgibt und sich selbst an dessen Stelle begibt. Er wird in die Lenden geschnitten, um die Ungeheuer zu täuschen.
Für seinen dritten Sohn erzählt der Räuber weiter, wie er dem obersten Ungeheuer entkommt, indem er sich erneut in Gefahr begibt. Während eines Unwetters vertreiben die Ungeheuer, und der Räuber kann mit der Frau und ihrem Kind entkommen. Er führt sie zu ihrer Familie zurück, und die Königin findet, dass er damit viel Böses wiedergutgemacht hat. Daraufhin gibt sie die Söhne frei.
Informationen für wissenschaftliche Analysen
Kennzahl | Wert |
---|---|
Nummer | KHM 191a |
Aarne-Thompson-Uther-Index | ATU Typ 953, 1137 |
Lesbarkeitsindex nach Amstad | 70.6 |
Lesbarkeitsindex nach Björnsson | 40.1 |
Flesch-Reading-Ease Index | 58.8 |
Flesch–Kincaid Grade-Level | 11 |
Gunning Fog Index | 11.8 |
Coleman–Liau Index | 11.3 |
SMOG Index | 11.2 |
Automated Readability Index | 12 |
Zeichen-Anzahl | 15.794 |
Anzahl der Buchstaben | 12.504 |
Anzahl der Sätze | 114 |
Wortanzahl | 2.718 |
Durchschnittliche Wörter pro Satz | 23,84 |
Wörter mit mehr als 6 Buchstaben | 443 |
Prozentualer Anteil von langen Wörtern | 16.3% |
Silben gesamt | 3.977 |
Durchschnittliche Silben pro Wort | 1,46 |
Wörter mit drei Silben | 219 |
Prozentualer Anteil von Wörtern mit drei Silben | 8.1% |