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Ein junges Ehepaar lebte recht vergnügt und glücklich beisammen und hatte den einzigen Fehler, der in jeder menschlichen Brust daheim ist: Wenn man es gut hat, hätte man es gerne besser. Aus diesem Fehler entstehen so viele törichte Wünsche, woran es unserm Hans und seiner Liese auch nicht fehlte. Bald wünschten sie des Schulzen Acker, bald des Löwenwirts Geld, bald des Meyers Haus und Hof und Vieh, bald einmal hunderttausend Millionen bayerische Taler kurzweg. Eines Abends aber, als sie friedlich am Ofen saßen und Nüsse aufklopften und schon ein tiefes Loch in den Stein hineingeklopft hatten, kam durch die Kammertür ein weißes Weiblein herein, nicht mehr als eine Eile lang, aber wunderschön von Gestalt und Angesicht, und die ganze, Stube war voll Rosenduft. Das Licht löschte aus, aber ein Schimmer wie Morgenrot, wenn die Sonne nicht mehr fern ist, strahlte von dem Weiblein aus und überzog alle Wände.
Über so etwas kann man nun doch ein wenig erschrecken, so schön es aussehen mag. Aber unser gutes Ehepaar erholte sich doch bald wieder, als das Fräulein mit wundersüßer, silberreiner Stimme sprach: »ich bin eure Freundin, die Bergfey Anna Fritze, die im kristallenen Schloss mitten in den Bergen wohnt, mit unsichtbarer Hand Gold in den Rheinsand streut und über siebenhundert dienstbare Geister gebietet. Drei Wünsche dürft ihr tun; drei Wünsche sollen erfüllt werden.« Hans drückte den Ellenbogen an den Arm seiner Frau, als ob er sagen wollte: Das lautet nicht übel. Die Frau aber war schon im Begriff, den Mund zu öffnen und etwas von ein paar Dutzend goldgestickten Kappen, seidenen Halstüchern und dergleichen zur Sprache zu bringen, als die Bergfey sie mit aufgehobenem Zeigefinger warnte: »Acht Tage lang«, sagte sie, »habt ihr Zeit. Bedenkt euch wohl und übereilt euch nicht!« Das ist kein Fehler, dachte der Mann und legte seiner Frau die Hand auf den Mund. Das Bergfräulein aber verschwand. Die Lampe brannte wie. vorher, und statt des Rosendufts zog wieder wie eine Wolke am Himmel der Öldampf durch die Stube.
So glücklich nun unsere guten Leute in der Hoffnung schon zum voraus waren und keinen Stern mehr am Himmel sahen, sondern lauter Bassgeigen, so waren sie jetzt doch recht übel dran, weil sie vor lauter Wunsch nicht wussten, was sie wünschen wollten, und nicht einmal das Herz hatten, recht daran zu denken oder davon zu sprechen, aus Furcht, es möchte für gewünscht passieren, ehe sie es genug überlegt hätten. »Nun«, sagte die Frau, »wir haben ja noch Zeit bis am Freitag.«
Des andern Abends, während die Grundrisse zum Nachtessen in der Pfanne prasselten, standen beide, Mann und Frau, vergnügt an dem Feuer beisammen, sahen zu, wie die kleinen Feuerfünklein an der rußigen Pfanne hin und her züngelten, bald angingen, bald auslöschten, und waren, ohne ein Wort zu reden, vertieft in ihrem künftigen Glück. Als sie aber die gerösteten Grundbirn aus der Pfanne auf das Plättlein anrichtete und ihr der Geruch lieblich in die Nase stieg: »Wenn wir jetzt nur ein gebratenes Würstlein dazu hätten«, sagte sie in aller Unschuld und ohne an etwas anderes zu denken, und – o weh, da war der erste Wunsch getan. Schnell, wie ein Blitz kommt und vergeht, kam es wieder wie Morgenrot und Rosenduft untereinander durch den Kamin herab, und auf den Grundbirn lag die schönste Bratwurst. – Wie gewünscht, so geschehen. – Wer sollte sich über einen solchen Wunsch und seine Erfüllung nicht ärgern? Welcher Mann über solche Unvorsichtigkeit seiner Frau nicht unwillig werden?
»Wenn dir doch nur die Wurst an der Nase angewachsen wäre«, sprach er in der ersten Überraschung, auch in aller Unschuld und ohne an etwas anderes zu denken und wie gewünscht, so geschehen. Kaum war das letzte Wort gesprochen, da saß die Wurst auf der Nase des guten Weibes fest wie angewachsen im Mutterleib, und hing zu beiden Seiten hinab wie ein Husaren-Schnauzbart.
Nun war die Not der armen Eheleute erst recht groß. Zwei Wünsche waren getan und vorüber, und noch waren sie um keinen Heller und um kein Weizenkorn, sondern nur um eine böse Bratwurst reicher. Noch war ein Wunsch zwar übrig. Aber was half nun aller Reichtum und alles Glück zu einer solchen Nasenzierrat der Hausfrau? Wollten sie wohl oder übel, so mussten sie die Bergfey bitten, mit unsichtbarer Hand Barbiersdienste zu leisten und Frau Liese wieder von der vermaledeiten Wurst zu befreien. Wie gebeten, so geschehen, und so war der dritte Wunsch auch vorüber und die armen Eheleute sahen einander an, waren der nämliche Hans und die nämliche Liese nachher wie vorher, und die schöne Bergfey kam niemals wieder.
Merke: Wenn dir einmal die Bergfey also kommen sollte, so sei nicht geizig, sondern wünsche Numero eins: Verstand, dass du wissen mögest, was du Numero zwei: wünschen sollest, um glücklich zu werden. Und weil es leicht möglich wäre, dass du alsdann etwas wähltest, was ein törichter Mensch nicht hoch anschlägt, so bitte noch Numero drei: um beständige Zufriedenheit und keine Reue. Oder so: Alle Gelegenheit, glücklich zu werden, hilft nichts, wer den Verstand nicht hat, sie zu benutzen.

Hintergründe
Interpretationen
Analyse
Das Märchen „Drei Wünsche“ von Johann Peter Hebel bietet eine lehrreiche Geschichte über die Gefahren unüberlegter Wünsche und die Bedeutung von Zufriedenheit und Verstand. Hier sind einige Hintergrundinformationen und Analysen zu diesem Märchen:
Ein junges, glückliches Ehepaar besitzt den Wunsch, etwas mehr Wohlstand zu erlangen. Eines Abends erscheint ihnen eine Bergfee und gewährt ihnen drei Wünsche. Doch in ihrer unbedachten Eile machen sie zwei törichte Wünsche: zunächst wünschen sie sich eine Bratwurst, die dann durch ein weiteres unbedachtes Verlangen des Mannes an der Nase der Frau festklebt. Der letzte Wunsch wird notgedrungen verwendet, um die Wurst zu entfernen. Am Ende steht das Paar mit leeren Händen da, aber gewinnt an Erfahrung über die Wichtigkeit bedachten Wünschens.
Das Paar ist zwar glücklich, aber immer noch von dem Drang getrieben, mehr zu haben. Diese unzufriedene Haltung führt sie zu unüberlegten Entscheidungen, die letztlich ihre Wünsche verschwenden.
Die Gefahr unüberlegter Wünsche: Die Geschichte verdeutlicht, dass die Fähigkeit, Wünsche erfüllt zu bekommen, nutzlos sein kann, wenn man nicht mit Bedacht wählt. Spontane und unüberlegte Wünsche führen oft zu unerwarteten und unerwünschten Konsequenzen.
Bedeutung von Verstand und Weisheit: Die Moral des Märchens legt nahe, dass der Verstand das wertvollste Gut ist. Nur mit Klugheit kann man seine Wünsche sinnvoll einsetzen, um nachhaltiges Glück zu erreichen.
Zufriedenheit im Hier und Jetzt: Das Märchen erinnert daran, dass ohne Zufriedenheit jede Gelegenheit zum Glücklichsein verschwendet ist. Das Streben nach immer mehr kann den Blick auf das, was man bereits besitzt, trüben.
Lebendige Erzählweise: Hebel erzählt die Geschichte in einem zugänglichen und humorvollen Ton, der sowohl unterhält als auch lehrt.
Symbolik: Die Wurst als Symbol für falsche Entscheidungen und unbedachte Wünsche steht im Mittelpunkt der sich zuspitzenden Komik der Geschichte.
Volksnähe: Die Figuren und die Handlung sind einfach und bodenständig, was sie für die Leser nachvollziehbar und die Lehre anwendbar macht.
Johann Peter Hebels „Drei Wünsche“ ist ein klassisches Beispiel dafür, wie Volksmärchen oft moralische oder praktische Lektionen vermitteln. In diesem Fall zeigt das Märchen humorvoll die Dummheit von hastigen und unüberlegten Wünschen und propagiert eine Philosophie der Zufriedenheit und des bewussten, klugen Lebens.
Die Erzählung „Drei Wünsche“ von Johann Peter Hebel bietet reichhaltiges Material für unterschiedliche Interpretationen, da sie auf einfache, aber tiefgründige Weise mit grundlegenden menschlichen Eigenschaften und Schwächen spielt.
Die menschliche Natur und ihre Schwächen: Hebel illustriert hier die Unersättlichkeit der menschlichen Natur. Das junge Ehepaar ist bereits glücklich, fühlt aber dennoch das Bedürfnis, sich ständig mehr zu wünschen. Dies spiegelt die allgemeine menschliche Tendenz wider, mehr zu wollen, als man hat – ein Fehler, den Hebel als universal beschreibt.
Die Gefahr unüberlegter Wünsche: Eine zentrale Botschaft der Geschichte ist die Warnung vor unbedachten Wünschen. Die ersten beiden Wünsche des Ehepaars, ein Würstchen und das unüberlegte Argument des Ehemanns, führen zu unpraktischen und sogar dysfunktionalen Ergebnissen. Dies zeigt, wie fehlende Überlegung und Impulsivität in der Realität zu unerwünschten Konsequenzen führen können.
Die Macht der Worte: Die Geschichte betont auch die Macht und die irreversiblen Konsequenzen, die Worte haben können. Die schnellen, gedankenlosen Äußerungen sowohl von Liese als auch von Hans führen zu Ergebnissen, die sie nicht beabsichtigt hatten. Dies ist ein Hinweis darauf, dass wir die Auswirkungen unserer Worte immer berücksichtigen sollten.
Zufriedenheit und Weisheit: Am Ende vermittelt die Geschichte den Gedanken, dass Weisheit und Zufriedenheit wichtigere Wünsche sein sollten als materieller Reichtum. Die abschließende Moral lehrt, dass Verstand und innere Zufriedenheit dauerhafteren Wert haben als kurzfristige materielle Wünsche.
Magische Interventionen und ihre Einschränkungen: Die Anwesenheit der Bergfey hebt das Märchenhafte und Fantastische der Geschichte hervor, unterstreicht aber auch, dass selbst magische Eingriffe keine Garantie für anhaltendes Glück sind. Die Lehre hier ist, dass äußere Umstände allein – selbst wenn sie magisch beeinflusst werden – nicht für wahres Glück oder Zufriedenheit sorgen können, wenn der innere Kompass fehlt.
Insgesamt ist „Drei Wünsche“ eine lehrreiche Fabel, die die Leser dazu anregt, über ihre eigenen Wünsche und die Art und Weise, wie sie nach Glück streben, nachzudenken.
Die Erzählung „Drei Wünsche“ von Johann Peter Hebel ist ein klassisches Märchen, das mit Humor und einer moralischen Botschaft versehen ist. Eine linguistische Analyse des Textes kann mehrere Aspekte wie die Sprachstruktur, die Stilmittel und die narrative Technik untersuchen:
Sprachstruktur: Der Text verwendet eine einfache, aber bildhafte Sprache, die charakteristisch für Märchen ist. Hebel nutzt oft umgangssprachliche Ausdrücke und Redewendungen, um die alltägliche und naive Natur des Ehepaares zu unterstreichen. Die Satzstruktur ist meist parataktisch, was die Einfachheit und Direktheit des Märchens unterstreicht.
Stilmittel
Metaphern und Vergleiche: Der Duft des Rosens wird mit Morgenrot verglichen, um die übernatürliche und magische Natur der Bergfey zu betonen.
Wiederholungen: Die dreimalige Erwähnung der Wünsche unterstreicht die zentrale Thematik des Märchens.
Ironie: Hebel verwendet Ironie, um die Unvorsichtigkeit und Gier des Paares darzustellen. Die absurden Ergebnisse der Wünsche (die Wurst auf der Nase) verstärken den komischen und lehrreichen Charakter der Geschichte.
Narrative Technik
Erzähler: Der Erzähler ist allwissend und vermittelt die Geschichte mit einem spürbaren moralischen Unterton.
Direkte Rede: Die direkte Rede wird effektiv eingesetzt, um die Gedanken und Wünsche der Charaktere darzustellen, was zu einem besseren Verständnis ihrer Charaktere beiträgt.
Volksnahe Darstellung: Der Stil des Märchens ist stark von der mündlichen Erzähltradition beeinflusst, was für die Zeit Hebels typisch ist.
Themen und Motive: Das zentrale Thema ist der unbedachte Umgang mit Wünschen und die menschliche Neigung zu Gier und Unzufriedenheit. Das Märchen endet mit der Einsicht, dass Zufriedenheit und kluges Nachdenken über die eigenen Wünsche wichtiger sind als materieller Reichtum. Ein wichtiges Motiv ist die Zahl Drei, die in Märchen oft verwendet wird, um Vollständigkeit und Ordnung zu symbolisieren.
Moral und Gesellschaftskritik: Die Erzählung kritisiert die menschliche Natur, immer nach mehr zu streben, ohne die Konsequenzen zu bedenken. Am Ende führt die Unachtsamkeit des Paares zu einer Rückkehr zum vorherigen Standpunkt, ohne Gewinne, aber mit einer wichtigen Lehre. Die Geschichte kann als Warnung interpretiert werden, die eigenen Wünsche sorgfältig zu überdenken und nicht von Gier oder Dummheit geleitet zu werden.
Insgesamt verbindet Hebels Märchen folkloristische Traditionen mit einer lebensklugen Moral, die seine Erzählung über die bloße Unterhaltung hinaushebt.
Informationen für wissenschaftliche Analysen
Kennzahl | Wert |
---|---|
Lesbarkeitsindex nach Amstad | 67.2 |
Lesbarkeitsindex nach Björnsson | 45.1 |
Flesch-Reading-Ease Index | 53.1 |
Flesch–Kincaid Grade-Level | 11.2 |
Gunning Fog Index | 12.5 |
Coleman–Liau Index | 12 |
SMOG Index | 12 |
Automated Readability Index | 12 |
Zeichen-Anzahl | 1.618 |
Anzahl der Buchstaben | 1.319 |
Anzahl der Sätze | 12 |
Wortanzahl | 260 |
Durchschnittliche Wörter pro Satz | 21,67 |
Wörter mit mehr als 6 Buchstaben | 61 |
Prozentualer Anteil von langen Wörtern | 23.5% |
Silben gesamt | 405 |
Durchschnittliche Silben pro Wort | 1,56 |
Wörter mit drei Silben | 33 |
Prozentualer Anteil von Wörtern mit drei Silben | 12.7% |