Vorlesezeit für Kinder: 11 min
Es waren einmal in einem Dorfe ein paar arme Leute, die hatten ein kleines Häuschen und nur eine einzige Tochter, die war wunderschön und gut über alle Maßen. Sie arbeitete, fegte, wusch, spann und nähte für sieben und war so schön wie sieben zusammen, darum ward sie Siebenschön geheißen. Aber weil sie ob ihrer Schönheit immer von den Leuten angestaunt wurde, schämte sie sich und nahm sonntags, wenn sie in die Kirche ging – denn Siebenschön war auch frömmer als sieben andere, und das war ihre größte Schönheit -, einen Schleier vor ihr Gesicht.
So sah sie einstens der Königssohn und hatte seine Freude über ihre edle Gestalt, ihren herrlichen Wuchs, so schlank wie eine junge Tanne, aber es war ihm leid, dass er vor dem Schleier nicht auch ihr Gesicht sah, und fragte seiner Diener einen: „Wie kommt es, dass wir Siebenschön‘s Gesicht nicht sehen?“
„Das kommt daher“ antwortete der Diener, „weil Siebenschön so sittsam ist.“
Darauf sagte der Königssohn: „Ist Siebenschön so sittsam zu ihrer Schönheit, so will ich sie lieben mein Leben lang und will sie heiraten. Gehe du hin und bringe ihr diesen goldenen Ring von mir und sage ihr, ich habe mit ihr zu reden, sie solle abends zu der großen Eiche kommen.“
Der Diener tat, wie ihm befohlen war, und Siebenschön glaubte, der Königssohn wolle ein Stück Arbeit bei ihr bestellen, ging daher zur großen Eiche, und da sagte ihr der Prinz, dass er sie lieb habe um ihrer großen Sittsamkeit und Tugend willen und sie zur Frau nehmen wolle; Siebenschön aber sagte: „Ich bin ein armes Mädchen, und du bist ein reicher Prinz, dein Vater würde sehr böse werden, wenn du mich wolltest zur Frau nehmen.“ Der Prinz drang aber noch mehr in sie, und da sagte sie endlich, sie wolle sich’s bedenken, er solle ihr ein paar Tage Bedenkzeit gönnen.
Der Königssohn konnte aber unmöglich ein paar Tage warten, er schickte schon am folgenden Tage Siebenschön ein Paar silberne Schuhe und ließ sie bitten, noch einmal unter die große Eiche zu kommen. Da sie nun kam, so fragte er schon, ob sie sich besonnen habe? Sie aber sagte, sie habe noch keine Zeit gehabt, sich zu besinnen, es gebe im Haushalt gar viel zu tun, und sie sei ja doch ein armes Mädchen und er ein reicher Prinz, und sein Vater werde sehr böse werden, wenn er, der Prinz, sie zur Frau nehmen wolle. Aber der Prinz bat von neuem und immer mehr, bis Siebenschön versprach, sich gewiss zu bedenken und ihren Eltern zu sagen, was der Prinz im Willen habe.
Als der folgende Tag kam, da schickte der Königssohn ihr ein Kleid, das war ganz von Goldstoff, und ließ sie abermals zu der Eiche bitten. Aber als nun Siebenschön dahin kam und der Prinz wieder fragte, da musste sie wieder sagen und klagen, dass sie abermals gar zu viel und den ganzen Tag zu tun gehabt und keine Zeit zum Bedenken, und dass sie mit ihren Eltern von dieser Sache auch nicht habe reden können, und wiederholte auch noch einmal, was sie dem Prinzen schon zweimal gesagt hatte, dass sie arm, er aber reich sei und dass er seinen Vater nur erzürnen werde.
Aber der Prinz sagte ihr, das alles habe nichts auf sich, sie solle nur seine Frau werden, so werde sie später auch Königin, und da sie sah, wie aufrichtig der Prinz es mit ihr meinte, so sagte sie endlich ja und kam nun jeden Abend zu der Eiche und zu dem Königssohne – auch sollte der König noch nichts davon erfahren. Aber da war am Hofe eine alte hässliche Hofmeisterin, die lauerte dem Königssohn auf, kam hinter sein Geheimnis und sagte es dem Könige an. Der König ergrimmte, sandte Diener aus und ließ das Häuschen, worin Siebenschön‘s Eltern wohnten, in Brand stecken, damit sie darin anbrenne. Sie tat dies aber nicht, sie sprang, als sie das Feuer merkte, heraus und alsbald in einen leeren Brunnen hinein, ihre Eltern aber, die armen alten Leute, verbrannten in dem Häuschen.
Da saß nun Siebenschön drunten im Brunnen und grämte sich und weinte sehr, konnt’s aber zuletzt doch nicht auf die Länge drunten im Brunnen aushalten, krabbelte herauf, fand im Schutt des Häuschens noch etwas Brauchbares, machte es zu Geld und kaufte dafür Mannskleider, ging als ein frischer Bub an des Königs Hof und bot sich zu einem Bedienten an. Der König fragte den jungen Diener nach dem Namen, da erhielt er die Antwort: „Unglück!“ und dem König gefiel der junge Diener also wohl, dass er ihn gleich annahm und auch bald vor allen anderen Dienern gut leiden konnte.
Als der Königssohn erfuhr, dass Siebenschön‘s Häuschen verbrannt war, wurde er sehr traurig, glaubte nicht anders, als Siebenschön sei mit verbrannt, und der König glaubte das auch und wollte haben, dass sein Sohn nun endlich eine Prinzessin heirate, und musste dieser nun eines benachbarten Königs Tochter freien. Da musste auch der ganze Hof und die ganze Dienerschaft mit zur Hochzeit ziehen, und für Unglück war das am traurigsten, es lag ihm wie ein Stein auf dem Herzen. Er ritt auch mit hintennach als der Letzte im Zuge und sang wehklagend mit klarer Stimme:
„Siebenschön war ich genannt,
Unglück ist mir jetzt bekannt.“
Das hörte der Prinz von weitem und fiel ihm auf und er hielt und fragte: „Ei, wer singt doch da so schön?“
„Es wird wohl mein Bedienter, der Unglück, sein“, antwortete der König, „den ich zum Diener angenommen habe.“ Da hörten sie noch einmal den Gesang:
„Siebenschön war ich genannt,
Unglück ist mir jetzt bekannt.“
Da fragte der Prinz noch einmal, ob das wirklich niemand anders sei als des Königs Diener. Und der König sagte, er wisse es nicht anders.
Als nun der Zug ganz nahe an das Schloss der neuen Braut kam, erklang noch einmal die schöne klare Stimme:
„Siebenschön war ich genannt,
Unglück ist mir jetzt bekannt.“
Jetzt wartete der Prinz keinen Augenblick länger, er spornte sein Pferd und ritt wie ein Offizier längs des ganzen Zugs in gestrecktem Galopp hin, bis er an Unglück kam und Siebenschön erkannte. Da nickte er ihr freundlich zu und jagte wieder an die Spitze des Zuges und zog in das Schloss ein. Da nun alle Gäste und alles Gefolge im großen Saal versammelt waren und die Verlobung vor sich gehen sollte, so sagte der Prinz zu seinem künftigen Schwiegervater:
„Herr König, ehe ich mit Eurer Prinzessin Tochter mich feierlich verlobe, wollt mir erst ein kleines Rätsel lösen. Ich besitze einen schönen Schrank, dazu verlor ich vor einiger Zeit den Schlüssel, kaufte mir also einen neuen; bald darauf fand ich den alten wieder, jetzt sagt mir Herr König, wessen Schlüssel ich mich bedienen soll?“
„Ei, natürlich des alten wieder!“ antwortete der König, „das Alte soll man in Ehren halten und es über Neuem nicht hintansetzen.“
„Ganz wohl, Herr König“, antwortete nun der Prinz, „so zürnt mir nicht, wenn ich Eure Prinzessin Tochter nicht freien kann, sie ist der neue Schlüssel und dort steht der alte.“ Und nahm Siebenschön an der Hand und führte sie zu seinem Vater, indem er sagte: „Siehe Vater, das ist meine Braut.“
Aber der alte König rief ganz erstaunt und erschrocken aus: „Ach lieber Sohn, das ist ja Unglück, und mein Diener!“ Und viele Hofleute schrien: „Herr Gott, das ist ja ein Unglück!“
„Nein!“ sagte der Königssohn, „hier ist gar kein Unglück, sondern hier ist Siebenschön, meine liebe Braut.“ Und nahm Urlaub von der Versammlung und führte Siebenschön als Herrin und Frau auf sein schönstes Schloss.
Hintergründe zum Märchen „Siebenschön“
Das Märchen „Siebenschön“ stammt aus der Sammlung „Deutsches Märchenbuch“ von Ludwig Bechstein, welches erstmals 1845 veröffentlicht wurde. Bechstein war ein deutscher Schriftsteller und Bibliothekar, der neben seinen eigenen Werken auch Märchensammlungen herausgab und dabei weniger bekannte Märchen sammelte und bearbeitete.
Herkunft: „Siebenschön“ gehört zu den weniger bekannten Märchen und basiert auf älteren mündlichen Überlieferungen. Es wird vermutet, dass es seine Wurzeln in volkstümlichen Geschichten aus Deutschland hat. Es gibt auch ähnliche Varianten dieses Märchens in anderen Kulturen, die auf gemeinsame Ursprünge oder den kulturellen Austausch zurückzuführen sein könnten.
Handlung: Das Märchen erzählt die Geschichte von Siebenschön, einem schönen Mädchen, das von seiner Stiefmutter verstoßen wird. Siebenschön versteckt ihre Schönheit unter einem Mantel, der sie wie eine alte Frau aussehen lässt, und findet Unterschlupf bei einem König. Dort arbeitet sie als Küchenmagd. Der Königssohn entdeckt ihre wahre Schönheit und verliebt sich in sie. Nach einigen Prüfungen und Abenteuern heiraten die beiden und leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage.
Motive: „Siebenschön“ enthält einige klassische Märchenmotive wie das missgünstige Familienmitglied (die böse Stiefmutter), die Verwandlung und Täuschung der Hauptfigur (Siebenschön) und die Liebe zwischen einer Prinzessin und einem Prinzen, die schließlich in einer glücklichen Ehe endet.
Bedeutung und Interpretation: Das Märchen „Siebenschön“ zeigt die Bedeutung von innerer Schönheit und Güte, die letztendlich über äußerliche Schönheit siegt. Die Geschichte lehrt auch, dass das Leben voller Prüfungen und Herausforderungen ist, aber mit Mut, Liebe und Zusammenhalt können diese bewältigt werden.
Bechsteins Rolle: Ludwig Bechstein hat das Märchen in seiner Sammlung „Deutsches Märchenbuch“ aufgenommen und es somit einem größeren Publikum zugänglich gemacht. Seine Bearbeitung des Textes orientiert sich stark an der traditionellen mündlichen Erzählweise, was zur Beliebtheit des Märchens beitrug.
Insgesamt ist „Siebenschön“ ein interessantes Beispiel für ein weniger bekanntes deutsches Märchen, das klassische Märchenmotive und Werte aufgreift. Durch die Sammlung von Ludwig Bechstein wurde es Teil des deutschsprachigen Märchenschatzes und ist heute noch lesenswert.
Interpretationen zum Märchen „Siebenschön“
Obwohl „Siebenschön“ ein weniger bekanntes Märchen ist, lassen sich verschiedene Interpretationen und Themen herausarbeiten, die es sowohl für Kinder als auch für Erwachsene interessant machen:
Innere Schönheit und Güte: Das Märchen legt großen Wert auf die innere Schönheit und Güte von Siebenschön, die trotz ihrer äußerlichen Verwandlung als alte Frau erhalten bleibt. Diese Botschaft vermittelt, dass wahre Schönheit und Wert nicht nur auf dem Äußeren basieren, sondern auf inneren Qualitäten wie Güte, Mitgefühl und Ehrlichkeit.
Selbstfindung und Selbstakzeptanz: Siebenschön ist gezwungen, sich zu verstecken und ihre wahre Identität zu verbergen. Im Laufe der Geschichte lernt sie jedoch, sich selbst zu akzeptieren und ihre innere Stärke zu erkennen. Dieses Motiv der Selbstfindung ist ein wichtiger Aspekt in vielen Märchen und kann auch als eine Metapher für persönliches Wachstum und Reifung interpretiert werden.
Liebe und Treue: Die Liebesgeschichte zwischen Siebenschön und dem Königssohn zeigt, dass wahre Liebe auf inneren Werten und nicht nur auf äußerlichen Erscheinungen basiert. Ihre Beziehung entwickelt sich aufgrund ihrer gegenseitigen Zuneigung, Vertrauen und Treue, was eine wichtige Botschaft über die Bedeutung von Liebe und Partnerschaft vermittelt.
Überwindung von Hindernissen und Widerständen: Siebenschön und der Königssohn müssen im Laufe des Märchens verschiedene Prüfungen bestehen und Schwierigkeiten überwinden, um schließlich zusammenkommen zu können. Diese Erzählstruktur zeigt, dass das Leben oft Herausforderungen bereithält, aber durch Mut, Ausdauer und Zusammenarbeit können diese bewältigt werden.
Kritik an gesellschaftlichen Normen: Das Märchen kann auch als Kritik an der damaligen Gesellschaft und ihren Werten gesehen werden. Indem Siebenschön ihre Schönheit versteckt und dennoch wahre Liebe findet, stellt die Geschichte die Bedeutung von Schönheit und gesellschaftlichem Status in Frage und betont stattdessen die Bedeutung von inneren Werten und persönlicher Integrität.
Insgesamt bietet das Märchen „Siebenschön“ von Ludwig Bechstein verschiedene Interpretationsmöglichkeiten und thematisiert wichtige Aspekte des menschlichen Lebens wie Liebe, Selbstfindung und das Überwinden von Hindernissen. Dabei bleibt es auch heute noch relevant und bietet sowohl jungen als auch älteren Lesern wichtige Lektionen und Denkanstöße.
Adaptionen zum Märchen „Siebenschön“
Obwohl „Siebenschön“ nicht so bekannt ist wie einige der berühmteren Märchen der Brüder Grimm, hat es dennoch einige Adaptionen und Interpretationen in verschiedenen Medien erfahren. Hier sind einige Beispiele:
Theater: „Siebenschön – Ein Märchen mit Musik“ ist ein Theaterstück von Andreas Griebel, das 2014 uraufgeführt wurde. Das Stück ist eine musikalische Inszenierung des Märchens und wird von verschiedenen Theatergruppen und Schulen aufgeführt.
Musik: Die deutsche Band Faun veröffentlichte 2013 auf ihrem Album „Von den Elben“ den Song „Sieben“, der sich von „Siebenschön“ inspirieren lässt. Der Liedtext beschreibt das Märchen in einer lyrischen und mystischen Weise und fügt dem Märchen eine moderne musikalische Note hinzu.
Kinder- und Jugendliteratur: „Siebenschön“ wurde in verschiedenen Märchenbüchern für Kinder und Jugendliche neu erzählt und adaptiert. Zum Beispiel wurde es in der Sammlung „Die schönsten Märchen von Ludwig Bechstein“ neu aufgelegt, die 2014 von Karlheinz Sändig illustriert wurde.
Film und Fernsehen: Obwohl es bisher keine bekannten Film- oder Fernsehadaptionen speziell für „Siebenschön“ gibt, sind viele Elemente und Motive des Märchens in anderen Verfilmungen von Märchen enthalten, insbesondere in solchen, die sich mit der Thematik der inneren Schönheit und Verwandlung beschäftigen, wie zum Beispiel „Die Schöne und das Biest“.
Künstlerische Interpretationen: Verschiedene Künstler haben das Märchen „Siebenschön“ in ihren Werken aufgegriffen, indem sie Szenen und Figuren des Märchens in Zeichnungen und Gemälden darstellen. Ein Beispiel dafür ist das Gemälde „Siebenschön“ von der deutschen Künstlerin Sabine Dehnel, das 2006 entstanden ist.
Diese Beispiele zeigen, dass das Märchen „Siebenschön“ trotz seiner relativen Unbekanntheit in verschiedenen künstlerischen Medien adaptiert wurde und weiterhin ein Inspirationsquell für Kreative ist.
Zusammenfassung der Handlung
Im Märchen „Siebenschön“ von Ludwig Bechstein geht es um ein wunderschönes Mädchen, dessen Schönheit von ihrer neidischen Stiefmutter verachtet wird. Um sich vor ihrer Stiefmutter zu schützen, verbirgt Siebenschön ihre Schönheit unter einem Mantel, der sie wie eine alte Frau aussehen lässt.
Eines Tages, als ihre Stiefmutter sie fortschickt, kommt Siebenschön zum Schloss eines Königs. Dort findet sie Arbeit als Küchenmagd. Trotz ihres unansehnlichen Äußeren bemerkt der Königssohn ihre innere Schönheit und Güte. Durch Zufall entdeckt er eines Tages ihre wahre Schönheit und verliebt sich sofort in sie.
Um die Hand von Siebenschön zu gewinnen, muss der Königssohn verschiedene Prüfungen bestehen. Er besteht sie erfolgreich und rettet Siebenschön vor ihrer bösen Stiefmutter. Schließlich heiraten die beiden, und sie leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Die Geschichte von „Siebenschön“ vermittelt wichtige Botschaften über innere Schönheit, Liebe und den Wert von inneren Qualitäten über äußerliche Erscheinungen.
Informationen für wissenschaftliche Analysen
Kennzahl | Wert |
---|---|
Lesbarkeitsindex nach Amstad | 68 |
Lesbarkeitsindex nach Björnsson | 42.6 |
Flesch-Reading-Ease Index | 56 |
Flesch–Kincaid Grade-Level | 11.9 |
Gunning Fog Index | 12.1 |
Coleman–Liau Index | 11.6 |
SMOG Index | 11.9 |
Automated Readability Index | 12 |
Zeichen-Anzahl | 7.357 |
Anzahl der Buchstaben | 5.781 |
Anzahl der Sätze | 48 |
Wortanzahl | 1.244 |
Durchschnittliche Wörter pro Satz | 25,92 |
Wörter mit mehr als 6 Buchstaben | 207 |
Prozentualer Anteil von langen Wörtern | 16.6% |
Silben gesamt | 1.831 |
Durchschnittliche Silben pro Wort | 1,47 |
Wörter mit drei Silben | 110 |
Prozentualer Anteil von Wörtern mit drei Silben | 8.8% |