Vorlesezeit für Kinder: 8 min
Es war einmal ein böser Fürst. All sein Dichten und Trachten ging darauf aus, alle Länger der Welt zu erobern und allen Menschen Furcht einzuflößen; mit Feuer und Schwert zog er umher, und seine Soldaten zertraten die Saat auf den Feldern und zündeten des Bauern Haus an, so dass die rote Flamme die Blätter von den Bäumen leckte und das Obst gebraten an den versengten, schwarzen Bäumen hing.
Mit dem nackten Säugling im Arm flüchtete manche Mutter sich hinter die noch rauchenden Mauern ihres abgebrannten Hauses, aber hier suchten die Soldaten sie auch, und fanden sie die Armen, so war dies neue Nahrung für ihre teuflische Freude: böse Geister hätten nicht ärger verfahren können als diese Soldaten. Der Fürst aber meinte, gerade so sei es recht, so sollte es zugehen. Täglich wuchs seine Macht, sein Name wurde von allen gefürchtet, und das Glück schritt neben ihm her bei allen seinen Taten.
Aus den eroberten Städten führte er große Schätze heim. In seiner Residenzstadt wurde ein Reichtum aufgehäuft, der an keinem anderen Orte seinesgleichen hatte. Und er ließ prächtige Schlösser, Kirchen und Hallen bauen, und jeder , der diese herrlichen Bauten und großen Schätze sah, rief ehrfurchtsvoll: „Welch großer Fürst!“ Sie gedachten aber nicht des Elends, das er über andere Länder und Städte gebracht hatte. Sie vernahmen nicht all die Seufzer und all den Jammer, der aus den eingeäscherten Städten empordrang.
Der Fürst betrachtete sein Gold und seine prächtigen Bauten und dachte dabei wie die Menge: „Welch großer Fürst! Aber ich muss mehr haben, viel mehr! Keine Macht darf der meinen gleichkommen, geschweige denn größer als die meine sein!“ Und er bekriegte alle seine Nachbarn und besiegte sie alle. Die besiegten Könige ließ er mit goldenen Ketten an seinen Wagen fesseln, und so fuhr er durch die Straßen seiner Residenz; tafelte er, so mussten jene Könige ihm und seinen Hofleuten zu Füßen liegen und sich von den Brocken sättigen, die ihnen von der Tafel zugeworfen wurden.
Endlich ließ der Fürst seine eigene Bildsäule auf den öffentlichen Plätzen und in den königlichen Schlössern errichten, ja, er wollte sie sogar in den Kirchen vor dem Altar des Herrn aufstellen. Allein hier traten die Priester ihm entgegen und sagten: „Fürst, du bist groß, aber Gott ist größer, wir wagen es nicht, deinem Befehl nachzukommen.“ – „Wohlan denn!“ rief der Fürst, „ich werde auch Gott besiegen!“
Und in Übermut und törichtem Frevel ließ er ein kostbares Schifflein bauen, mit welchem er die Lüfte durchsegeln konnte. Es war bunt und prahlerisch anzuschauen wie der Schweif eines Pfaus, und es war gleichsam mit Tausenden von Äugen besetzt und übersäht, aber jedes Auge war ein Büchsenlauf. Der Fürst saß in der Mitte des Schiffes, er brauchte nur auf eine dort angebrachte Feder zu drücken, und tausend Kugeln flogen nach allen Richtungen hinaus, während die Feuerschlünde sogleich wieder geladen waren.
Hunderte von Adlern wurden vor das Schiff gespannt, und pfeilschnell ging es nun der Sonne entgegen. Wie lag da die Erde tief unten! Mit ihren Bergen und Wäldern schien sie nur ein Ackerfeld zu sein, in das der Pflug seine Furchen gezogen hatte, an dem entlang der grüne Rain hervorblickte, bald glich sie nur noch einer flachen Landkarte mit undeutlichen Strichen, und endlich lag sie ganz in Nebel und Wolken gehüllt. Immer höher flogen die Adler aufwärts in die Lüfte – da sandte Gott einen einzigen seiner unzähligen Engel aus.
Der böse Fürst schleuderte Tausende von Kugeln gegen ihn, allein die Kugeln prallten ab von den glänzenden Fittichen des Engels, fielen herab wie gewöhnliche Hagelkörner. Doch ein Blutstropfen, nur ein einziger, tröpfelte von einer der weißen Flügelfedern herab, und dieser Tropfen fiel auf das Schiff, in welchem der Fürst saß, er brannte sich in das Schiff ein, er lastete gleich tausend Zentner Blei darauf und riss das Schiff in stürzender Fahrt zur Erde nieder.
Die starken Schwingen der Adler zerbrachen, der Wind umsauste des Fürsten Haupt, und die Wolken ringsum – die waren ja aus dem Flammenrauch der abgebrannten Städte gebildet – formten sich zu drohenden Gestalten, zu meilenlangen Seekrabben, die ihre Klauen und Scheren nach ihm ausstreckten, sie türmten sich zu ungeheuerlichen Felsen mit herabrollenden, zerschmetternden Blöcken, zu feuerspeienden Drachen; halbtot lag der Fürst im Schiff ausgestreckt, und dieses blieb endlich mit einem fruchtbaren Stoß in den dicken Baumzweigen eines Waldes hängen.
„Ich will Gott besiegen!“ sagte der Fürst, „ich habe es geschworen, mein Wille muss geschehen!“ Uns sieben Jahre lang ließ er bauen und arbeiten an künstlichen Schiffen zum Durchsegeln der Luft, ließ Blitzstrahlen aus härtestem Stahl schneiden, denn er wollte des Himmels Befestigung sprengen. Aus allen Landen sammelte er Kriegsheere, die, als sie Mann an Mann aufgestellt waren, einen Raum von mehreren Meilen bedeckten. Die Heere gingen an Bord der künstlichen Schiffe, der Fürst näherte sich dem seinen: da sandte Gott einen einzigen kleinen Mückenschwarm aus.
Der umschwirrte den Fürsten und zerstach sein Antlitz und seine Hände; zornentbrannt zog er sein Schwert und schlug um sich, allein er schlug nur in die leere Luft, die Mücken traf er nicht. Da befahl er, kostbare Teppiche zu bringen und ihn in dieselben einzuhüllen, damit ihn keine Mücke fernerhin steche. Und die Diener taten wie befohlen. Allein, eine einzige Mücke hatte sich an die innere Seite des Teppichs gesetzt, von hier aus kroch sie in das Ohr des Fürsten und stach ihn.
Es brannte wie Feuer, das Gift drang hinein in sein Gehirn. Wie wahnsinnig riss er die Teppiche von seinem Körper und schleuderte sie weit weg, zerriss seine Kleidung und tanzte nackend herum vor den Augen seiner rohen, wilden Soldaten, die nun den tollen Fürsten verspotteten, der Gott bekriegen wollte und von einer einzigen kleinen Mücke besiegt worden war.

Hintergründe zum Märchen „Der böse Fürst“
„Der böse Fürst“ ist ein Märchen von Hans Christian Andersen, einem dänischen Schriftsteller, der vor allem für seine Kunstmärchen bekannt ist. Andersen schrieb zwischen 1835 und 1872 insgesamt 156 Märchen, die in mehrere Sammlungen veröffentlicht wurden. Obwohl „Der böse Fürst“ nicht zu seinen bekanntesten Märchen zählt, ist es dennoch ein interessantes Werk, das den Stil und die Themen seiner Geschichten widerspiegelt.
Andersens Märchen sind oft durchsetzt mit düsteren und ernsten Themen und beinhalten häufig eine moralische Botschaft. „Der böse Fürst“ ist da keine Ausnahme. Das Märchen behandelt die Themen Machtgier, Hybris und die Folgen von Grausamkeit und Krieg. Es zeigt, dass keine Macht, sei sie noch so groß, ewig währt und dass selbst der mächtigste Herrscher letztendlich der göttlichen Ordnung unterworfen ist.
Hans Christian Andersen lebte im 19. Jahrhundert, einer Zeit, in der Europa von politischen Umbrüchen und kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt war. Möglicherweise spiegelt „Der böse Fürst“ die damalige politische Situation und die Ambitionen von Herrschern wider, die versuchten, ihre Macht zu erweitern und andere Nationen zu unterwerfen.
Andersens Märchen waren nicht nur für Kinder gedacht, sondern auch für Erwachsene, und viele seiner Geschichten enthalten Gesellschaftskritik und tiefgründige Botschaften. In „Der böse Fürst“ wird die Hybris und Grausamkeit von Herrschern angeprangert, die ihre Macht missbrauchen und unermessliches Leid über ihre Untertanen und andere Völker bringen.
Die Geschichte zeigt, dass selbst ein scheinbar unbezwingbarer Tyrann am Ende von etwas Kleinem und Unscheinbarem besiegt werden kann, was die Bedeutung von Demut und Achtung vor höheren Mächten unterstreicht. Insgesamt ist „Der böse Fürst“ ein exemplarisches Beispiel für Hans Christian Andersens Fähigkeit, komplexe Themen und gesellschaftliche Kritik in einer fesselnden und bildhaften Erzählung zu verpacken, die sowohl Kinder als auch Erwachsene anspricht.
Interpretationen zum Märchen „Der böse Fürst“
„Der böse Fürst“ von Hans Christian Andersen bietet verschiedene Interpretationsmöglichkeiten. Hier sind einige mögliche Deutungen dieses Märchens:
Hybris und Machtgier: Eine zentrale Botschaft des Märchens ist die Warnung vor Hybris und Machtgier. Der böse Fürst ist ein Beispiel für einen Herrscher, der seine Macht missbraucht und ständig nach mehr strebt. Seine Arroganz führt ihn schließlich dazu, gegen Gott selbst zu kämpfen. Die Geschichte zeigt, dass selbst die größte irdische Macht letztendlich der göttlichen Ordnung unterworfen ist und dass diejenigen, die nach grenzenloser Macht streben, unweigerlich scheitern werden.
Moralische Verantwortung: Das Märchen vermittelt auch die Botschaft der moralischen Verantwortung eines Herrschers gegenüber seinem Volk. Der böse Fürst verursacht großes Leid und Elend, indem er Kriege führt und andere Völker unterwirft. Seine Grausamkeit und Rücksichtslosigkeit führen letztendlich zu seinem Untergang. Die Geschichte erinnert daran, dass Herrscher nicht nur nach Macht und Reichtum streben sollten, sondern auch die Wohlfahrt ihrer Untertanen und die Auswirkungen ihrer Handlungen auf andere berücksichtigen müssen.
Die Macht des Kleinen: Eine weitere Interpretation des Märchens bezieht sich auf die Macht des Kleinen und Unscheinbaren. Der böse Fürst, der scheinbar unbezwingbar ist, wird letztendlich von einer kleinen Mücke besiegt. Diese Wendung zeigt, dass Größe und Macht nicht immer von Bedeutung sind und dass selbst das Kleinste und Schwächste eine entscheidende Rolle spielen kann. Es unterstreicht auch die Bedeutung von Demut und Bescheidenheit.
Göttliche Gerechtigkeit: Das Märchen kann auch als eine Allegorie für göttliche Gerechtigkeit gelesen werden. Der böse Fürst scheint zunächst unbesiegbar, aber sein Versuch, gegen Gott zu kämpfen, führt zu seinem Untergang. Die Geschichte kann als eine Erinnerung daran verstanden werden, dass es letztendlich eine höhere Macht gibt, die über das Schicksal der Menschen wacht und dafür sorgt, dass Gerechtigkeit und Ordnung aufrechterhalten werden.
Insgesamt bietet „Der böse Fürst“ von Hans Christian Andersen zahlreiche Interpretationsmöglichkeiten, die sich auf Themen wie Macht, Verantwortung, Demut und göttliche Gerechtigkeit beziehen. Die Geschichte regt den Leser dazu an, über die Folgen von Hybris und Machtgier nachzudenken und die Bedeutung von moralischer Verantwortung und Respekt gegenüber höheren Mächten zu erkennen.
Zusammenfassung der Handlung
„Der böse Fürst“ ist ein Märchen von Hans Christian Andersen, das die Geschichte eines grausamen und machthungrigen Herrschers erzählt. Der Fürst ist besessen von der Idee, die Welt zu erobern und allen Menschen Furcht einzuflößen. Er führt Kriege, verwüstet Länder und lässt seine Soldaten Zerstörung und Elend verbreiten. Trotz seiner Grausamkeiten wird der Fürst von vielen für seine Macht und seinen Reichtum bewundert.
Der böse Fürst ist jedoch nicht zufrieden mit seiner Macht und will mehr. Er kämpft gegen seine Nachbarn und erobert ihre Königreiche. Die besiegten Könige werden gedemütigt und gezwungen, dem Fürsten zu Füßen zu liegen. Er lässt sogar seine eigene Bildsäule überall errichten, aber die Priester weigern sich, sie in den Kirchen aufzustellen.
In seiner Hybris beschließt der Fürst, Gott selbst herauszufordern. Er lässt ein prächtiges Luftschiff bauen, mit dem er die Lüfte durchsegeln und tausende von Kugeln auf seine Feinde schießen kann. Er steigt in das Schiff, das von Adlern gezogen wird, und fliegt der Sonne entgegen. Gott schickt einen Engel, um ihm entgegenzutreten. Der Fürst schießt auf den Engel, aber die Kugeln prallen ab, und ein einziger Tropfen Engelblut fällt auf das Schiff. Dieser Tropfen zieht das Schiff in einem Sturzflug zur Erde, wo es in einem Wald hängen bleibt.
Der Fürst gibt jedoch nicht auf und versucht erneut, Gott zu besiegen, indem er riesige Luftschiffe und Armeen baut. Doch Gott schickt einen Schwarm Mücken, die den Fürsten stechen und quälen. In seiner Wut und Verzweiflung reißt der Fürst seine Kleider ab und tanzt nackt vor seinen Soldaten, die ihn verspotten. Am Ende wird der mächtige Fürst von einer einzigen kleinen Mücke besiegt, die seine Hybris und Machtgier zum Scheitern bringt.
Die Geschichte zeigt, dass keine irdische Macht ewig währt und dass selbst der mächtigste Herrscher letztendlich der göttlichen Ordnung unterworfen ist. „Der böse Fürst“ vermittelt eine moralische Botschaft über die Gefahren von Machtgier, Hybris und Grausamkeit und die Bedeutung von Demut und Achtung vor höheren Mächten.
Informationen für wissenschaftliche Analysen
Kennzahl | Wert |
---|---|
Übersetzungen | DE, EN, DA, ES, IT, NL |
Lesbarkeitsindex nach Amstad | 62.4 |
Lesbarkeitsindex nach Björnsson | 48.2 |
Flesch-Reading-Ease Index | 46.9 |
Flesch–Kincaid Grade-Level | 12 |
Gunning Fog Index | 13.5 |
Coleman–Liau Index | 12 |
SMOG Index | 12 |
Automated Readability Index | 12 |
Zeichen-Anzahl | 5.934 |
Anzahl der Buchstaben | 4.807 |
Anzahl der Sätze | 40 |
Wortanzahl | 936 |
Durchschnittliche Wörter pro Satz | 23,40 |
Wörter mit mehr als 6 Buchstaben | 232 |
Prozentualer Anteil von langen Wörtern | 24.8% |
Silben gesamt | 1.507 |
Durchschnittliche Silben pro Wort | 1,61 |
Wörter mit drei Silben | 128 |
Prozentualer Anteil von Wörtern mit drei Silben | 13.7% |