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Die glückliche Familie
Grimm Märchen

Die glückliche Familie - Märchen von Hans Christian Andersen

Vorlesezeit für Kinder: 10 min

Das größte grüne Blatt hierzulande ist sicherlich das Klettenblatt. Hält man es vor seinen kleinen Leib, so ist es gerade wie eine ganze Schürze, und legt man es auf seinen Kopf, dann ist es im Regenwetter fast ebenso gut wie ein Regenschirm, denn es ist ungeheuer groß. Nie wächst eine Klette allein, nein! Wo eine wächst, da wachsen auch mehrere, es ist eine große Herrlichkeit, und all diese Herrlichkeit ist Schneckenspeise.

Die großen, weißen Schnecken, woraus vornehme Leute in früheren Zeiten Leckerbissen bereiten ließen, speisten und sagten: „Hm! Schmeckt das prächtig!“ – denn sie glaubten nun einmal, dass so etwas gut schmecke – diese Schnecken lebten von Klettenblättern, und deswegen wurden die Kletten gesät.

Nun gab es da ein altes Rittergut, wo man keine Schnecken mehr speiste, diese waren beinahe ganz ausgestorben, aber die Kletten waren nicht ausgestorben, sie wuchsen über alle Gänge und Beete, man konnte ihrer nicht mehr Meister werden. Es war ein förmlicher Klettenwald, hin und wieder standen da ein Apfel- und ein Pflaumenbaum, sonst hätte man gar nicht vermuten können, dass dies ein Garten gewesen sei. Alles war Klette, und drinnen wohnten die beiden letzten steinalten Schnecken.

Sie wussten selbst nicht, wie alt sie waren, aber sie konnten sich sehr wohl erinnern, dass ihrer weit mehr gewesen, dass sie von einer Familie aus fremden Ländern abstammten und dass für sie und die Ihrigen der ganze Wald gepflanzt worden war. Sie waren nie aus ihm hinausgekommen, aber sie wussten doch, dass es außerdem noch etwas in der Welt gab, was der Herrenhof hieß, und da oben wurde man gekocht, und dann wurde man schwarz, und dann wurde man auf eine silberne Schüssel gelegt, was aber dann weiter geschah, das wussten sie nicht.

Wie das übrigens war, gekocht zu werden und auf einer silbernen Schüssel zu liegen, das konnten sie sich nicht denken, aber schön sollte es sein, und außerordentlich vornehm. Weder die Maikäfer, noch die Kröten oder die Regenwürmer, die sie darum befragten, konnten ihnen Bescheid darüber geben. Keiner von ihnen war gekocht worden oder hatte auf einer silbernen Schüssel gelegen.

Die alten, weißen Schnecken waren die vornehmsten in der Welt, das wussten sie. Der Wald war ihrethalben da, und der Herrenhof war da, damit sie gekocht und auf eine silberne Schüssel gelegt werden konnten. Sie lebten nun sehr einsam und glücklich, und da sie selbst keine Kinder hatten, so hatten sie eine kleine, gewöhnliche Schnecke angenommen, die sie wie ihr eigenes Kind erzogen. Aber die Kleine wollte nicht wachsen, denn es war nur eine gewöhnliche Schnecke.

Die Alten, besonders die Mutter, die Schneckenmutter, glaubten doch zu bemerken, dass sie zunahm, und sie bat den Vater, wenn er das nicht sehen könnte, so möge er doch nur das kleine Schneckenhaus anfühlen, und dann fühlte er und fand, dass die Mutter recht habe. Eines Tages regnete es stark. „Höre, wie es auf den Kletten tromme-romme-rommelt!“ sagte der Schneckenvater. „Da kommen auch Tropfen!“ sagte die Schneckenmutter.

„Es läuft ja gerade am Stengel herab! Du wirst sehen, dass es hier nass werden wird. Ich bin froh, dass wir unsere guten Häuser haben und dass der Kleine auch eins hat! Für uns ist freilich mehr getan als für alle anderen Geschöpfe, man kann also sehen, dass wir die Herren der Welt sind! Wir haben ein Haus von der Geburt ab, und der Klettenwald ist unsertwegen gesät! – Ich möchte wohl wissen, wie weit er sich erstreckt und was außerhalb von ihm ist!“

„Da ist nichts außerhalb!“ sagte der Schneckenvater. „Besser als bei uns kann es nirgends sein, und ich habe nichts zu wünschen!“ – „Ja“, sagte die Schneckenmutter, „ich möchte wohl zum Herrenhof kommen, gekocht und auf eine silberne Schüssel gelegt werden. Das ist allen unseren Vorfahren widerfahren, und glaube mir, es ist ganz etwas Besonderes dabei!“

„Der Herrenhof ist vielleicht zusammengestürzt“, sagte der Schneckenvater, „oder der Klettenwald ist darüber hinweggewachsen, so dass die Menschen nicht herauskommen können. Übrigens hat das keine Eile, du eilst immer gewaltig, und der Kleine fängt auch schon damit an. Er ist nun in drei Tagen an dem Stiel hinaufgekrochen, mir wird schwindlig, wenn ich zu ihm hinaufsehe!“

„Du musst nicht schelten!“ sagte die Schneckenmutter. „Er kriecht so besonnen. Wir werden noch Freude an ihm erleben, und wir Alten haben ja nichts anderes, wofür wir leben können! Hast du aber wohl daran gedacht, wo wir eine Frau für ihn hernehmen? Glaubst du nicht, dass da weit hinein in dem Klettenwald noch jemand von unserer Art sein möchte?“

„Schwarze Schnecken, glaube ich, werden wohl da sein“, sagte der Alte. „Schwarze Schnecken ohne Haus, aber das ist gemein, und doch sind sie stolz. Aber wir könnten die Ameisen damit beauftragen, die laufen hin und her, als ob sie etwas zu tun hätten, sie wissen sicher eine Frau für unsern Kleinen.“ – „Ich weiß freilich die aller schönste“, sagte eine der Ameisen, „aber ich fürchte, es geht nicht, denn sie ist eine Königin!“

„Das schadet nichts!“ sagten die Alten. „Hat sie ein Haus?“ – „Sie hat ein Schloss“, sagte die Ameise, „das schönste Ameisenschloss mit siebenhundert Gängen.“ – „Schönen Dank!“ sagte die Schneckenmutter. „Unser Sohn soll nicht in einen Ameisenhaufen! Wisst ihr nichts Besseres, so geben wir den Auftrag den weißen Mücken, die fliegen bei Regen und Sonnenschein weit umher und kennen den Klettenwald von innen und außen.“

„Wir haben eine Frau für ihn!“ sagten die Mücken. „Hundert Menschenschritte von hier sitzt auf einem Stachelbeerstrauch eine kleine Schnecke mit einem Hause, sie ist ganz allein und alt genug, sich zu verheiraten. Es sind nur hundert Menschenschritte!“ – „Ja, lasst sie zu ihm kommen“, sagten die Alten, „er hat einen Klettenwald, sie hat nur einen Strauch!“ Sie holten das kleine Schneckenfräulein. Es währte acht Tage, ehe sie eintraf, aber das war gerade das Vornehme dabei, daran konnte man sehen, dass sie von der rechten Art war.

Dann hielten sie Hochzeit. Sechs Johanniswürmer leuchteten so gut sie konnten. Übrigens ging es im ganzen still zu, denn die alten Schnecken konnten Schwärmen und Lustbarkeiten nicht ertragen. Aber eine schöne Rede wurde von der Schneckenmutter gehalten. Der Vater konnte nicht reden, er war zu bewegt, und dann gaben sie ihnen den ganzen Klettenwald zur Erbschaft und sagten, was sie immer gesagt hatten, dass es das Beste in der Welt sei, und wenn sie redlich und ordentlich lebten und sich vermehrten, dann würden sie und ihre Kinder einst zum Herrenhofe kommen, schwarz gekocht und auf eine silberne Schüssel gelegt werden.

Nachdem die Rede gehalten war, krochen die Alten in ihre Häuser und kamen nie wieder heraus. Sie schliefen. Das junge Schneckenpaar regierte im Walde und erhielt eine große Nachkommenschaft, aber sie wurden nie gekocht, und sie kamen nie auf eine silberne Schüssel, woraus sie den Schluß zogen, dass der Herrenhof zusammengestürzt sei und dass alle Menschen in der Welt ausgestorben seien, und da ihnen niemand widersprach, so musste es ja wahr sein. Der Regen schlug auf die Klettenblätter, um für sie eine Trommelmusik zu veranstalten, und die Sonne schien, um den Klettenwald für sie zu beleuchten, und sie waren sehr glücklich, und die ganze Familie war glücklich.

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Hintergründe zum Märchen „Die glückliche Familie“

„Die glückliche Familie“ ist ein Märchen des dänischen Schriftstellers Hans Christian Andersen. Andersen wurde 1805 geboren und ist vor allem für seine Märchen für Kinder bekannt, obwohl viele seiner Geschichten auch für Erwachsene gedacht waren und tiefere Bedeutungen haben. Seine Märchen wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und haben weltweit große Popularität erlangt.

Gesellschaftliche Hierarchiene: Andersen lebte im 19. Jahrhundert, einer Zeit, in der starke Klassenunterschiede und soziale Hierarchien in Europa vorherrschten. Die Schnecken in der Geschichte repräsentieren möglicherweise diese sozialen Schichten, insbesondere in Bezug auf Stolz und Vornehmheit. Das Märchen kann als Kritik an diesen sozialen Strukturen gesehen werden.

Naturverbundenheit: Andersen hatte eine besondere Beziehung zur Natur, und viele seiner Geschichten spielen in natürlichen Umgebungen. „Die glückliche Familie“ ist keine Ausnahme. Der Klettenwald spielt eine wichtige Rolle in der Geschichte und unterstreicht Andersens Wertschätzung für die Schönheit und Bedeutung der Natur.

Wertesysteme und Lebensphilosophie: Andersen hinterfragt in seinen Geschichten oft die Werte und Normen der Gesellschaft. In „Die glückliche Familie“ wird der Traum der alten Schnecken, gekocht und auf einer silbernen Schüssel serviert zu werden, als sinnlos und oberflächlich dargestellt. Diese Kritik an gesellschaftlichen Erwartungen und Wertvorstellungen spiegelt Andersens eigene Lebensphilosophie wider, die sich auf Einfachheit, Zufriedenheit und die Freuden der Natur konzentriert.

Märchenhafte Erzählung: Wie in vielen von Andersens Märchen sind die Charaktere und Situationen in „Die glückliche Familie“ anthropomorphisiert, d.h. die Schnecken haben menschenähnliche Eigenschaften und verhalten sich wie Menschen. Dieser erzählerische Stil macht die Geschichte zugänglich und ansprechend für Kinder und ermöglicht gleichzeitig eine tiefergehende Interpretation für erwachsene Leser.

Insgesamt ist „Die glückliche Familie“ ein Märchen, das sowohl Kindern als auch Erwachsenen eine lehrreiche Geschichte über die Bedeutung von Einfachheit, Zufriedenheit, Familie und Naturverbundenheit bietet und gleichzeitig gesellschaftliche Normen und Hierarchien hinterfragt.

Interpretationen zum Märchen „Die glückliche Familie“

Das Märchen „Die glückliche Familie“ von Hans Christian Andersen bietet mehrere Interpretationen und vermittelt verschiedene Botschaften:

Einfachheit und Zufriedenheit: Das Leben der Schneckenfamilie ist einfach, und sie sind zufrieden mit dem, was sie haben. Diese Interpretation betont die Bedeutung von Zufriedenheit und Glück in einfachen Dingen und lehrt uns, dass materielle Dinge nicht immer Glück und Erfüllung bringen.

Stolz und Vornehmheit: Die alten Schnecken sind sehr stolz auf ihre Herkunft und glauben, dass sie die Vornehmsten in der Welt sind. Diese Haltung führt dazu, dass sie sich von anderen Lebewesen im Wald abgrenzen. Dies kann als Kritik an sozialen Hierarchien und Standesdünkel interpretiert werden.

Die Bedeutung von Familie: Die Schneckenfamilie adoptiert eine gewöhnliche Schnecke und zieht sie wie ihr eigenes Kind auf. Das Märchen zeigt, wie wichtig Familie und Zusammenhalt sind und dass Liebe und Fürsorge nicht an Blutsverwandtschaft gebunden sind.

Illusion von Ruhm und Ansehen: Die alten Schnecken träumen davon, gekocht und auf einer silbernen Schüssel serviert zu werden, ohne genau zu wissen, was das bedeutet. Sie halten an diesem Traum fest, auch wenn sie keine Bestätigung dafür haben. Diese Interpretation zeigt, wie Menschen manchmal unrealistische Vorstellungen von Ruhm und Ansehen verfolgen, ohne die wahren Konsequenzen und Bedeutungen zu hinterfragen.

Natur und Harmonie: Die Schneckenfamilie lebt in Einklang mit der Natur und genießt die einfachen Freuden, die ihr der Klettenwald bietet. Das Märchen betont die Schönheit der Natur und wie sie als Quelle von Glück und Zufriedenheit dienen kann.

Insgesamt zeigt „Die glückliche Familie“ verschiedene Aspekte des Lebens und liefert mehrere Botschaften über Glück, Familie, Stolz und die Bedeutung von Natur und Einfachheit.

Zusammenfassung der Handlung

In dem Märchen „Die glückliche Familie“ von Hans Christian Andersen geht es um zwei alte weiße Schnecken, die im Klettenwald leben. Sie sind stolz auf ihre Vornehmheit und glauben, dass der Wald und der nahegelegene Herrenhof nur für sie existieren. Sie haben eine gewöhnliche Schnecke adoptiert, die sie wie ihr eigenes Kind aufziehen.

Eines Tages beschließen sie, eine Frau für ihren Sohn zu finden und beauftragen Ameisen und Mücken, ihm eine passende Partnerin zu suchen. Die Mücken finden schließlich eine junge Schnecke, die von einem entfernten Stachelbeerstrauch zum Klettenwald gebracht wird. Die beiden heiraten und bekommen viele Nachkommen.

Die Alten träumen davon, zum Herrenhof zu kommen und auf einer silbernen Schüssel serviert zu werden, wie es ihren Vorfahren widerfahren ist. Als sie sterben, überlassen sie dem jungen Schneckenpaar den Klettenwald. Die Nachkommen werden jedoch nie gekocht oder auf einer silbernen Schüssel serviert und folgern, dass der Herrenhof zerstört und die Menschen ausgestorben sein müssen. Trotzdem leben sie glücklich in ihrem Klettenwald, der von der Sonne beleuchtet und vom Regen bespielt wird.


Informationen für wissenschaftliche Analysen

Kennzahl
Wert
ÜbersetzungenDE, EN, DA, ES, FR, IT, NL
Lesbarkeitsindex nach Amstad73.1
Lesbarkeitsindex nach Björnsson37.8
Flesch-Reading-Ease Index59.1
Flesch–Kincaid Grade-Level9
Gunning Fog Index8.8
Coleman–Liau Index12
SMOG Index10.9
Automated Readability Index10.1
Zeichen-Anzahl7.314
Anzahl der Buchstaben5.823
Anzahl der Sätze73
Wortanzahl1.167
Durchschnittliche Wörter pro Satz15,99
Wörter mit mehr als 6 Buchstaben254
Prozentualer Anteil von langen Wörtern21.8%
Silben gesamt1.814
Durchschnittliche Silben pro Wort1,55
Wörter mit drei Silben130
Prozentualer Anteil von Wörtern mit drei Silben11.1%
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