Vorlesezeit für Kinder: 93 min
Es ist eine Geschichte aus den jütländischen Sanddünen, die aber nicht in Jütland anhebt, sondern weit weg von dieser nördlichen Halbinsel, im Süden, in Spanien beginnt. Das Meer ist die Straße zwischen den Ländern; versetze dich in Gedanken dorthin, hin nach dem sonnigen Spanien! Dort ist es warm und wunderherrlich, dort wachsen die feuerroten Granatblüten zwischen dunklen Lorbeerbäumen. Von den Bergen weht ein frischer, labender Wind herab über die Orangengärten, über die prächtigen maurischen Hallen mit ihren goldenen Kuppeln und farbigen Wänden. Durch die Straßen ziehen Kinder in Prozessionen mit Lichtern und flatternden Fahnen, und über Ihnen, hoch und klar, erhebt sich der Himmel mit funkelnden Sternen; Gesang und Kastagnetten erklingen, Burschen und Mädchen schwingen sich im Tanz unter blühenden Akazien, während der Bettler auf dem behauenen Marmorstein sitzt, sich an der saftigen Wassermelone labt und das Leben halb träumend genießt. Es ist wie ein herrlicher Traum das Ganze, und sich dem hinzugeben – ja, das taten so recht zwei junge Neuvermählte, und ihnen waren auch alle Güter der Erde gegeben: Gesundheit, froher Sinn, Reichtum und Ehre.
„Wir sind so glücklich, wie nur irgend jemand es sein kann!“ sprachen sie aus vollster Herzensüberzeugung. Doch noch eine Stufe des Glücks konnten sie erklimmen, wenn nämlich Gott ihnen ein Kind, einen Sohn, ihnen ähnlich an Körper und Seele, schenken wollte.
Das glückliche Kind würde mit Jubel begrüßt werden, die größte Sorgfalt und Liebe finden, all des Wohlseins und Reichtums teilhaftig werden, den eine einflußreiche Familie zu spenden vermag. Wie ein Fest verstrichen ihnen die Tage.
„Das Leben ist ein Gnadengeschenk der Liebe, eine fast unbegreiflich große Gabe!“ sprach die junge Frau, „und die Fülle der Glückseligkeit soll im jenseitigen Leben noch wachsen, und zwar ewig und immer – ich fasse diesen Gedanken nicht!“
„Und der Gedanke ist in der Tat auch Übermut des Menschen!“ versetzte der Mann. „Es ist im Grunde ein entsetzlicher Stolz, zu glauben, dass man ewig lebt – werden soll wie Gott! Waren es doch auch die Worte der Schlange, und sie war der Lüge Urheberin.“
„Du zweifelst doch nicht an einem Leben im Jenseits?“ fragte die junge Frau, und es war, als gleite zum ersten Mal ein Schatten durch ihr sonniges Gedankenreich.
„Der Glaube verheißt es, die Priester sagen es!“ sprach der junge Mann, „aber gerade in all meinem Glück fühle und erkenne ich, dass es ein Stolz, ein übermütiger Gedanke wäre, ein anderes Leben nach diesem, eine fortgesetzte Glückseligkeit zu verlangen – ist uns nicht in dem Erdendasein so viel gegeben, dass wir wohl zufrieden sein können und sein müssen?“
„Ja, uns ward es gegeben!“ sagte die junge Frau, „allein wie vielen Tausenden ward nicht dieses Leben zu einer schweren Prüfung. Wie viele sind nicht in diese Welt hineingeworfen worden, gleichsam zur Armut nur, zur Schande, zur Krankheit und zum Unglück. Nein, wenn es kein Leben nach diesem gäbe, dann wäre alles auf Erden zu ungleich verteilt, dann wäre Gott nicht die Gerechtigkeit!“
„Der Bettler dort unten hat Freuden, die er ebenso sehr schätzt, die ihn ebenso groß dünken, wie der König sie in seinem reichen Schloss hat!“ versetzte der Mann, „und glaubst du nicht, dass das Arbeitstier, das geprügelt wird, hungert und sich zu Tode schleppt, seine schweren Lebenstage empfindet! Das Tier könnte auch ein jenseitiges ewiges Leben fordern, es ein Unrecht heißen, dass es nicht in ein höheres Reich der Schöpfung gestellt wurde!“
„In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen, hat Christus gesagt“; antwortete die junge Frau, „das Himmelreich ist das Unendliche, wie Gottes Liebe unendlich ist – auch das Tier ist ein Geschöpf Gottes, und ich glaube fest daran, dass kein Leben verloren gehen wird, sondern all die Glückseligkeit genießen wird, die es empfangen kann und die ihm genügt.“
„Mir aber genügt nun diese Welt!“ rief der Mann und umschlang sein schönes, liebliches Weib, rauchte eine Zigarre auf dem offenen Altan, wo die kühle Luft erfüllt war mit dem Duft der Orangen und Nelken; Musik und Kastagnetten erklangen von der Straße herauf, die Sterne flimmerten von oben herab, und zwei Augen voller Liebe, die Augen seines Weibes, schauten ihn mit dem ewigen Leben der Liebe an.
„Eine solche Minute“, sprach er, „ist es wohl wert, dass man geboren wird, empfindet und – verschwindet!“ und er lächelte. Die junge Frau hob die Hand mit mildem Vorwurf – und der Schatten auf ihrer Welt war wieder verschwunden, sie waren gar zu glücklich.
Und alles schien sich ihnen zu fügen, sie schritten voran in Ehre, in Wohlsein und Freude. Ein Wechsel fand zwar statt, aber nur ein Ortswechsel, keiner im Genuß und in des Lebensfreude und Lust. Der junge Mann wurde von seinem König als Gesandter an den kaiserlichen Hof in Rußland geschickt, es war ein Ehrenamt, seine Geburt und seine Kenntnisse gaben ihm ein Recht zu diesem Posten. Ein großes Vermögen besaß er, seine junge Frau hatte ihm ein nicht geringeres eingebracht, sie war die Tochter eines reichen, angesehenen Kaufmannes. Eines der größten, besten Schiffe dieses Kaufherrn sollte gerade in diesem Jahr nach Stockholm gehen, es wurde bestimmt, dass es die lieben Kinder, Tochter und Schwiegersohn, nach St. Petersburg führen solle, und an Bord ward alles prächtig eingerichtet, reiche Teppiche für die Füße, Seide und Luxus überall.
Ein altes Heldenlied heißt: „Des Königs von England Sohn“. Der segelte auch an Bord eines prächtigen Schiffes, der Anker ward ausgelegt mit rotem Gold, jedes Tau mit Seide durchflochten – an dieses Schiff musste man unwillkürlich denken, wenn man das aus Spanien sah, denn hier war dieselbe Pracht, und derselbe Abschiedsgedanke drängte sich einem auf, der Gedanke:
Gott lasse uns alle in Freuden
einst wieder zusammenfinden!
Und der Wind blies schön seewärts an der spanischen Küste, der Abschied war nur ein kurzer. In wenigen Wochen würden sie das Ziel ihrer Reise erreichen können; aber als sie auf die hohe See kamen, legte sich der Wind, das Meer ward blank und still, die Sterne des Himmels strahlten, es waren gleichsam Festabende, die in der reichen Kajüte verstrichen.
Endlich wünschte man doch, dass es ein wenig Luft und Fahrtwind geben möge, aber er blies nicht, und erhob sich ja einmal der Wind, da war es immer Gegenwind. So vergingen Wochen, ja volle zwei Monde, erst dann stellte sich der rechte Wind ein, er blies aus Südwest. Das Schiff fuhr auf der hohen See zwischen Schottland und Jütland, und der Wind nahm zu, ganz wie in der alten Weise von „Des Königs von England Sohn.“
Da gab es ein Wetter und Wolkenguß,
kein Land, keinen Schutz sie fanden,
und sie warfen ihr Ankergold –
doch der Wind blies westeinwärts auf Dänemark.
Das ist nun lange her. König Christian der Siebente saß damals auf dem dänischen Thron und war noch ein junger Mann. Vieles ist seit der Zeit geschehen, vieles hat gewechselt und sich verändert; See und Moorland haben sich in grünende Wiesen verwandelt, Heide ist Ackerland geworden, und im Schutz der Westjüten-Hütten wachsen Apfelbäume und Rosen, wenn man sie auch freilich suchen muss, denn sie ducken sich vor dem scharfen Westwind.
Man kann sich im westlichen Jütland so recht in die alte Zeit zurückversetzen, weiter zurück als in die Regierungszeit Christian des Siebten. Wie damals, so erstreckt sich auch jetzt in Jütland die braune Heide meilenweit hin mit ihren Hünengräbern, ihren Luftspiegelungen, mit den sich kreuzenden holprigen und sandigen Wegen; westwärts, wo große Bäche in die Fjorde münden, breiten sich Wiesen und Moorland aus, umzäunt von hohen Sanddünen, die einer Alpenkette gleich sich mit ausgezackten Gipfeln gegen das Meer hin erheben, sie werden nur von hohen Lehmabhängen unterbrochen, von welchen die Fluten Jahr für Jahr Riesenbissen abbeißen, so dass die jähen Küstenufer, wie durch Erdbeben erschüttert, einstürzen. So sieht es dort noch am heutigen Tage aus, so war es auch vor vielen Jahren, damals, als die zwei Glücklichen draußen auf dem reichen Schiff segelten.
Es war in dem letzten Tagen des Septembers, es war Sonntag und sonniges Wetter, das Läuten der Kirchenglocken am Fjord von Nissum rollte dahin in der Luft wie eine tönende Kette. Die Gotteshäuser dort sind fast nur aus behauenen Feldsteinen erbaut, jedes ist ein Stückchen Felsen. Die Nordsee könnte über sie dahinbrausen, und sie würden stehenbleiben. An den meisten fehlte der Turm und die Glocken hingen dann im Freien zwischen zwei Balken. Der Gottesdienst war zu Ende. Die Gemeinde trat aus der Kirche auf den Friedhof, wo damals wie heutzutage weder Baum noch Busch zu erblicken war, nicht eine Blume war dort gepflanzt, nicht ein Kreuz auf die Gräber hingelegt; knorrige Hügel zeigen an, wo die Toten eingesenkt sind, schneidendes Gras, vom Winde gepeitscht, überwuchert den ganzen Kirchhof; irgendein einzelnes Grab hat vielleicht ein Grabmal aufzuweisen, das heißt, einen, fast verwitterten Holzblock, zugehauen in der Form eines Sarges. Der Holzblock ist dann aus dem Walde der jütländischen Westgegend geholt, und der Wald dieser Gegend ist das wilde Meer, dort wachsen für den Küstenbewohner die behauenen Balken, Bohlen und Hölzer, welche die Brandung ihm ans Land führt. Der Wind und die Seenebel verwittern bald das Holz. Ein solcher Holzblock war hier auf ein Kindergrab von lieben Händen hingetragen, und eine der Frauen, die aus der Kirche kamen, schritt auf das Grab zu. Sie blieb vor dem Grab stehen und ließ ihre Blicke auf dem verwitterten Grabmal ruhen; wenige Augenblicke später trat ihr Mann zu ihr heran; beide sprachen kein Wort, er ergriff aber ihre Hand, und sie wanderten vom Grab auf die braune Heide hinaus, über Moor und Wiese dahin auf die Sanddünen zu: lange Zeit gingen Sie schweigend nebeneinander her.
„Das war heute eine gute Predigt“, sprach der Mann, „hätte man nicht den lieben Gott, man hätte gar nichts!“
„Ja“, versetzte die Frau, „er schenkt Freude und Betrübnis, und er hat das Recht dazu! Morgen wäre unser kleiner Knabe fünf Jahre alt geworden, hätten wir ihn behalten dürfen.“
Es Kommt nichts dabei heraus, dass du trauerst, Frauchen“, sagte der Mann. „Ist der Knabe doch gut davongekommen! Er ist ja dort, wo wir durch unser Gebet hinkommen wollen!“
Und darauf sprachen sie nichts weiter und gingen auf ihr Haus zwischen den Sanddünen zu; plötzlich erhob sich von einer dieser Dünen, an der das Strandgras den Sand nicht mit seinen langen Wurzelgeflecht festhielt, gleichsam eine dicke Rauchwolke, ein Windstoß bohre sich in die Dünen und wirbelte die feinen Sandteilchen hoch auf, noch ein Windstoß, und all die mit Fischen zum Trocknen behangenen, ausgespannten Schnüre schlugen mit Macht gegen die Wand des Häuschens, und alles war wieder still. Die Sonne strahle warm herab.
Mann und Frau traten ins Haus; bald hatten sie sich ihrer Sonntagskleider entledigt, und wieder hinaustretend, eilten sie nun über die Dünen, die wie ungeheure Wogen aus Sand, plötzlich in ihrer Bewegung aufgehalten, dastanden. Der Sandhafer und das Dünengras mit ihren blaugrünen Halmen gaben dem weißen Sand etwas Farbe. Ein paar Nachbarn kamen noch hinzu, man war einander behilflich, die Boote höher auf den Sand hinaufzuziehen. Der Wind blies jetzt gewaltiger als zuvor, er war scharf und kalt, und als die zurück über die Dünen eilten, wehten ihnen Sand und scharfe Steinchen ins Gesicht, die Wellen türmten sich mit weißen Schaumkronen hoch auf, und der Wind schnitt den Kamm ab, dass der Schaum weit umherspritzte.
Der Abend kam heran, in der Luft tönte ein heranschwellendes Sausen, heulend, klagend, wie eine Heerschar verzweifelter Geister, es übertönte das dröhnende Rollen des Meeres, obwohl das Fischerhaus ganz in seiner Nähe lag. Der Sand prasselte an die Fensterscheiben, und zuweilen kam ein Windstoß so gewaltig heran, dass das Häuschen gleichsam in seinem Grund erbebte. Es war finster, doch gegen Mitternacht würde der Mond aufgehen.
Die Luft klärte sich auf, aber der Sturm raste in seiner ganzen gewaltigen Macht über das tief aufgewühlte Meer dahin. Die Fischersleute hatten schon längst ihr Lager aufgesucht, allein bei dem Unwetter war nicht daran zu denken, ein Auge zu schließen. Da klopfte es an das Fenster, die Tür tat sich auf, und jemand sagte:
„Ein großes Schiff liegt fest auf dem äußersten Riff!“ Mit einem Sprung waren die Fischersleute vom Lager auf und in den Kleidern.
Der Mond war aufgegangen, es wäre hell genug gewesen, um zu sehen, hätte man die Augen wegen der Wirbel des Flugsandes auftun können. Es war ein Wind, dass man sich gleichsam auf denselben legen konnte. Nur mit großer Mühe, zwischen den Windstößen dahinkriechend, gelangte man über die Dünen hinweg, und hier nun flog wie Schwanendaunen in der Luft der Salzige Gischt und Schaum vom Meere hoch empor, das sich wie ein rollender, kochender Wasserfall gegen die Küste wälzte. Ein geübtes Auge gehörte dazu, um das Fahrzeug draußen zu erblicken. Es war ein prächtiger Zweimaster; gerade jetzt hoben die Fluten es über das Riff. Drei, vier Kabellängen außerhalb der gewöhnlichen Brandung, es trieb gegen das Land an, lief auf das zweite Riff auf und saß fest. Hilfe zu bringen war eine Unmöglichkeit, die See war zu gewaltig, sie schlug gegen das Schiff und rollte immerfort über dasselbe hinweg. Man glaubt die Notschreie, die Angstrufe der dem Tode Geweihten zu vernehmen, man gewahrte die emsige, hilflose Tätigkeit an Bord. Jetzt rollte eine Woge heran, die wie ein zermalmendes Felsstück auf den Bugspriet stürzte, der wurde dem Schiff entrissen. Das Heck hob sich hoch über die Flut. Zwei Menschen sprangen zu gleicher Zeit, einander umschlingend, in die Fluten – ein Augenblick – und eine der größten Wellen, die gegen die Dünen rollten, warf einen Körper auf die Küste – es war ein Weib, eine Leiche, wie die Schiffer dachten. Ein paar von den Frauen erfassten sie, glaubten noch Leben in ihr zu spüren, man brachte die Fremde über die Dünen hinweg in die Fischerhütte. Wie schön und fein war sie, gewiss eine vornehme Dame. Sie legten sie in das ärmliche Bett, aber es war schön warm.
Das Leben kehrte ihr wieder, aber im Fieber. Sie wusste nichts von dem, was geschehen war oder wo sie sich befand, und so war es ja gerade gut, denn alles, was ihr lieb und wert war, lag auf dem Meeresgrund. Es erging Schiff und Menschen draußen, wie es das Heldenlied von „Des Königs von England Sohn“ singt.
Es war ein Grauen zu sehen –
in Stücke klein das Schiff verwehen.
Wrackstücke und Späne trieben an Land, sie war die einzig Überlebende von allen an Bord. Noch fegte der Wind heulend über die Küste. Einige kurze Augenblicke schien sie zu ruhen, aber bald traten Schmerzein ein, und ein Angstschrei tönte von ihren Lippen, sie schlug ihre wunderbar schönen Augen auf, sprach einige Worte, aber niemand hier verstand sie.
Und sieh, als Lohn für Kampf und Schmerzen hielt sie in ihren Armen ein neugeborenes Kind, ein Kind, das auf einem Prachtlager, umwallt von seidenen Vorhängen in dem reichen Hause hätte ruhen sollen! Es hätte mit Jubel begrüßt werden sollen zu einem Leben reich an allen Gütern der Erde, und jetzt hatte es Gott in diesem armen Winkel geboren werden lassen!
Die Fischersfrau legte das Kind an die Brust der Mutter, aber es lag an einem Herzen, dass nicht mehr schlug, sie war tot. Das Kind, dessen Amme Reichtum und Glück hätte sein sollen, war in die Welt hineingeworfen, in die Sanddünen von der See hineingespült worden, um das Los und die schweren Tage der Armen zu kosten. Und wieder kommt uns hier in den Sinn das alte Lied von dem englischen Königssohn, in welchem auch der damals durch Ritter und Knappen üblichen Ausplünderung der vom Schiffbruch Erretteten gedacht wird.
Eine Strecke südlich von dem Nissumfjord war das Schiff gestandet. Die harten, unmenschlichen Zeiten, in denen die Bewohner der Westküste Jütlands den Schiffbrüchigen Böses zufügten, wie man erzählt, waren damals schon längst vorüber; Liebe und Mitgefühl, Aufopferung für die Schiffbrüchigen waren dort zu finden, wie sie in unserer Zeit zu finden sind und in edlen Zügen hervorleuchten. Die sterbende Mutter und das elende Kind hätten überall, wohin der Wind sie auch geweht hätte, Sorgfalt und Pflege gefunden, aber nirgends inniger als bei der armen Fischersfrau, die noch gestern schweren Herzens an dem Grab gestanden hatte, welches ihr Kind barg, das heute fünf Jahre alt geworden wäre, wenn Gott ihm zu leben vergönnt hätte. Niemand wusste, wer das fremde tote Weib war oder wohl sein könnte. Die Wrackstücke des Schiffes sprachen kein Wort hiervon.
Nach Spanien, in das reiche Haus, kam niemals ein Brief oder eine Botschaft über das Geschick der Tochter und des Schwiegersohnes, sie waren nicht an dem Ort ihrer Bestimmung angelangt, heftige Stürme hatten während der letztverflossenen Wochen gerast. Man harrte Monate. „Total gescheitert. Alle untergegangen!“ das erfuhr man endlich. Aber in den Dünen bei Huusby, in dem Fischerhause, hatte die reiche spanische Familien nun einen kleinen Sprößling.
Wo Gott zweien Nahrung beschert, findet der dritte wohl auch eine Mahrzeit, und in der Tiefe des Meeres gibt es schon ein weiteres Gericht Fische für einen hungrigen Magen. Jürgen nannte man den Knaben.
„Er ist gewiss ein Judenkind“, hieß es, „er sieht so schwarz aus!“ Es könnte auch ein Italiener oder Spanier sein, sagte der Pfarrer. Der Fischersfrau schien es aber, als seien diese drei Nationen ganz gleich, und sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass das Kind als Christ getauft war.
Der Knabe gedieh, das adelige Blut blieb warm und kräftigte sich bei der ärmlichen Kost, er wuchs heran in dem geringen Haus. Der dänische Dialekt, wie ihn der Westjüte spricht, wurde seine Sprache. Der Granatkern aus dem Boden Spaniens wurde eine Strandhaferpflanze auf der Küste von Westjütland. So kann es einem Menschen ergehen! An diese Heimat klammerte er sich mit den erstjährigen Wurzeln seines Lebens. Hunger und Kälte, Drangsal und Not armer Leute sollte er kennenlernen, aber auch der Armen Freude genießen.
Das Kindesalter hat für jeden seine Lichthöhen, die später durchs ganze Leben hindurchsrahlen. Wie hatte er doch vollauf Freude am Spiel. Die ganze Küste, meilenweit, lag voll Spielzeug, sie war ein Mosaik aus Steinen, rot wie Korallen, gelb wie Bernstein und weiß und gerundet, als seien es Vogeleier, in allen Farben und alle geschliffen und geglättet vom Meer. Selbst das gebleichte Fischskelett, die im Winde getrockneten Wasserpflanzen des Seetangs, schimmerndweiß, lang und schmal, wie leinene Bänder, flatternd zwischen den Steinen, waren wie alles zum Spielen und zur Freude für das Auge und den Gedanken da. Und der Knabe war ein aufgeweckter Kopf, viele und große Fähigkeiten wohnten in ihm. Wie leicht behielt er im Gedächtnis die Geschickten und Lieder, die er hörte, und wie fingerfertig war er! Aus Steinen und Muschelschalen setzte er ganze Schiffe und Bilder zusammen, mit denen man die Stube ausputzen konnte. Er könne seine Gedanken merkwürdig in einen Stecken schnitzen, sagte die Pflegemutter, und der Knabe sei doch noch sehr jung und klein! Herrlich klang seine Stimme, jede Melodie floss sogleich von seiner Zunge. Viele Saiten waren in der Brust gespannt, die hätten in die Welt hinausklingen können, wenn er anderswohin gestellt worden wäre als in das Fischerhaus an der Nordsee.
Eines Tages strandete wieder ein Schiff hier. Unter anderem schwamm eine Kiste mit seltenen Blumenzwiebeln ans Land; einige wurden in den Kochtopf getan, man glaubte, sie seien genießbar, andere lagen und vermoderten im Sande, sie gelangten nicht zu ihrer Bestimmung, die Farbenpracht zu entfalten, die ihnen innewohnte – würde es wohl Jürgen besser ergehen? Die Blumenzwiebeln hatten bald ihre Rolle ausgespielt, er hatte noch die Jahre seiner Lehrzeit vor sich.
Weder ihm noch irgend einem anderen fiel es auf, wie einsam und einförmig der Tag auf ihrer Scholle verstrich, gab es doch vollauf zu tun und zu sehen. Das Meer selber war ein großes Lehrbuch, jeden Tag bot es ein neues Blatt dar. Meeresstille, Brandung, Kühle und Sturm, Strandungen waren die Glanzpunkte. Der Kirchenbesuch war ein Festbesuch, doch von den Festbesuchen zeichnete sich im Fischerhaus selber namentlich einer aus, der besonders willkommen war, er wiederholte sich zweimal jährlich, es war der Besuch des Bruders von Jürgens Pflegemutter, des Aalbauern aus Fjaltring, oben in der Nähe des Bowberges. Er kam in einem rotangestrichenen Wagen, gefüllt mit Aalen, der Wagen war verschlossen und verdeckt wie eine Kiste und bemalt mit blauen und weißen Tulpen. Er wurde von zwei fahlgelben Ochsen gezogen, und Jürgen durfte diese Ochsen lenken.
Der Aalbauer war ein guter Kopf, ein fröhlicher Gast, er führte ein Lägel voll Branntwein mit sich. Jedermann bekam aus demselben ein Schnapsglas oder eine Tasse voll, wenn es an Schnapsgläsern fehlte, selbst Jürgen bekam einen großen Fingerhut voll, damit er den fetten Aal verdauen könne, sagte der Aalbauer und erzählte dann immer wieder dieselbe Geschichte, und wenn man ihm darob zulächelte, erzählte er sie denselben Zuhörern sofort noch einmal. Da Jürgen während seiner ganzen Kindheit und selbst später aus dieser Geschichte des Aalbauern mehrere Redensarten gebrauchte und überhaupt die Geschichte vielfach zur Anwendung brachte, so müssen wie sie wohl einmal mitanhören.
„In die Bucht gingen die Aale, und die Aalmutter sagte zu ihren Töchtern, die sie um Erlaubnis baten, die Bucht eine kleine Strecke hinaufwandern zu dürfen: „Geht nicht zu weit, der hässliche Aalstecher könnte leicht kommen und euch alle wegschnappen!“ Aber sie gingen zu weit hinaus, und von acht Töchtern kehrten nur drei zur Aalmutter wieder zurück, und diese jammerten: „Wir waren bloß ein wenig vor die Tür gegangen, als gleich der hässliche Aalstecher kam und fünf unserer Geschwister zu Tode stach.“ – „Die kommen schon wieder!“ sprach die Aalmutter.- „Nein“, sagten die Töchter, „Denn er verspeiste sie.“ – „Sie kommen schon wieder!“ sagte die Aalmutter. – „Aber er trank Branntwein darauf!“ versetzten die Töchter. – „Au, au“ dann kehren sie nimmer wieder!“ heulte die Aalmutter, „der Branntwein begräbt die Aale.“ „Und deshalb muss man immer ein Glas Branntwein zu dem Gericht trinken!“ sagte der Aalbauer.
Und diese Geschichte wurde der Flittergoldfaden, der humoristische Faden im Leben Jürgens. Auch er wollte gern ein wenig vor die Tür gehen und ein wenig die Bucht hinauf, das heißt, mit einem Schiff in die Welt hinaus, und die Mutter sprach wie der Aalbauer, „es gibt so viele schlechte Menschen, Aalstecher!“ Doch ein wenig über die Sanddünen hinaus, nur ein wenig in die Heide hinein musste er, und das gelang ihm denn auch. Vier fröhliche Tage, die lichtesten seiner Kindheit, rollten herauf, die ganze Herrlichkeit und Schönheit Jütlands, alle Freuden, aller Sonnenschein der Heimat lag in ihnen. Er sollte zu einem Festgelage – ein Leichenschmaus war es allerdings.
Ein wohlhabender Verwandter der Fischerfamilie war gestorben. Das Gehöft lag tief im Lande, ostwärts, einen Strich gegen Norden, wie es hieß. Vater und Mutter mussten dorthin, Jürgen sollte mit. Von den Dünen kamen sie über Heide und Moorland an die grüne Wiese, wo der Skjernfluß sich seine Bahn bricht, der Fluss mit den vielen Aalen, wo Aalmutter mit ihren Töchtern wohnte, die von schlechten Menschen gefangen und zerschnitten wurden: doch besser hatten die Menschen gar oft gegen ihre Mitmenschen nicht gehandelt; auch Herr Ritter Bugge wurde von bösen Menschen ermordet, und wie gut man ihn auch nannte, wollte er doch den Baumeister totschlagen, wie es in einer alten Legende heißt, der ihm sein Schloss mit den dicken Mauern und Türmen errichtet hatte, wo Jürgen mit seinen Pflegeeltern stand, wo der Fluss in die Bucht fällt. Die Auffahrt auf den Schlosswall war noch übriggeblieben, rote, zerbröckelte Mauerstücke lagen ringsumher. Hier hatte Ritter Bugge, als der Baumeister ihn verlassen hatte, zu seinem Knappen gesagt: „Geh ihm nach und sage: Meister, der Turm wackelt! Wendet er sich um, so schlägst du ihn tot und nimmst ihm das Geld ab, das ich ihm gab, wendet er sich aber nicht um, so lässt du ihn in Frieden ziehen!“ Der Knappe gehorchte, und der Baumeister antwortete und sah sich nicht um: „Der Turm wackelt beileibe nicht, aber dereinst wird aus dem Westen ein Mann in einem blauen Mantel kommen, der wird ihn zum Wackeln bringen!“ Und so geschah es hundert Jahre später, die Nordsee brach ein, und der Turm brach zusammen, doch der damalige Besitzer des Schlosses, Prebjörn Gyldenstjerne, baute höher hinauf, wo die Wiese aufhört, ein neues Schloss und das steht heute noch, es ist Nörre Vosborg.
An diesem vorüber ging die Reise Jürgens und seiner Pflegeeltern; während der langen Winterabende hatte man ihm davon erzählt, jetzt sah er den Herrenhof mit seinen doppelten Gräben, mit Bäumen und Gebüsch. Der Wall, mit Farnkräutern überwuchert, erhob sich innerhalb des Grabens; aber das schönste waren die hohen Linden, die bis an die Dachfenster reichten und die Luft mit süßem Duft erfüllten. In einer Ecke des Garten nach Nordwesten zu stand ein großer Busch mit Blüten, gleich Winterschnee im Sommergrün. Es war ein Holunderbusch, der erste, welchen Jürgen so hatte blühen sehen. Den und die Linden vergaß er nie, die Kinderseele barg diese Erinnerungen voll Duft und Herrlichkeit für den alten Mann.
Von Nörre Vosborg an, wo der Holunder blühte, ging es bequemer weiter, denn sie trafen andere Gäste, die auch zu der Leichenfeier wollten und die zu Wagen waren; zwar mussten die drei hinten im Wagen auf einer kleinen Kiste sitzen, aber es war doch besser, als zu gehen, meinten sie. Die Reise ging nun zu Wagen über die holperige Heide dahin. Die Ochsen, die den Wagen zogen, blieben dann und wann stehen, wo ein frischer Rasenfleck zwischen dem Heidekraut zum Vorschein kam, die Sonne schien warm, und wunderlich war es zu sehen, wie weit in der Ferne gleichsam ein Rauch wogte, und dieser Rauch war doch klarer als die Luft, er war durchsichtig, es war, als rollten und tanzten die Lichtstrahlen über die Heide dahin.
„Das ist der Lokemann, der seine Schafherde treibt“, hieß es, und das war genug gesagt, um die Phantasie Jürgens zu wecken, ihm schien es, als führen sie nun in das Land der Märchen hinein und waren doch in der Wirklichkeit. Wie war es hier still! Weit und groß dehnte sich die Heide aus, aber gleich einem köstlichen Teppich. Das Heidekraut blühte, die zypressengrünen Wacholderbüsche und die frischen Eichenschößlinge ragten gleich Buketts in der Heide hervor. Wie einladend, um sich hier zu tummeln, wären nur nicht die vielen giftigen Nattern dagewesen, von denen sprach man und von den vielen Wölfen, die es hier gegeben hatte, weshalb auch der Kreis noch Wolfsborg-Kreis hieß. Der alte Mann, der die Ochsen lenkte, erzählte, wie zu Lebzeiten seines Vaters die Pferde hier oft einen harten Kampf gegen die jetzt ausgerotteten wilden Tiere hatten bestehen müssen und dass er eines Morgens, als er hierher kam, um die Pferde zu holen, eines von ihnen gefunden hatte, das mit beiden Vorderhufen auf einem Wolf stand, den es getötet hatte, wie aber auch das Fleisch von den Beinen des Pferdes ganz heruntergebissen gewesen war.
Zu schnell ging der Weg über die Heide und den tiefen Sand. Sie hielten vor dem Trauerhaus, woselbst es vollauf Gäste gab, drinnen und draußen; Wagen reihte sich an Wagen, Pferde und Ochsen grasten auf der mageren Weide; große Sanddünen, wie zu Hause an der Nordsee, erhoben sich hinter dem Gehöft und erstreckten sich weit und breit. Wie waren die hier heraufgekommen, drei Meilen ins Land hinein und ebenso hoch und groß wie die an der Meeresküste? Der Wind hatte sie gehoben und getragen, sie hatten auch ihre Geschichte.
Psalmen wurden gesungen, geweint wurde auch von einigen alten Leuten, sonst war alles fröhlich und vergnügt, wie es Jürgen schien, Essen und Trinken gab es in Hülle und Fülle, die herrlichsten fetten Aale, und auf diese muss man Branntwein gießen, „das fesselt den Aal“, hatte der Aalbauer gesagt, und die Worte wurden freilich hier zur Tat.
Jürgen ging hier ein und aus. Am dritten Tage fühlte er sich wie zu Hause, wie in dem Fischerhaus an den Sanddünen, wo er seine früheren Tage alle verlebt hatte. Hier auf der Heide war freilich ein ganz anderer Reichtum, hier wucherten Blumen und Preiselbeeren und Heidelbeeren, so groß und so süß und in solchen Mengen, dass sie beim Auftreten zerquetscht wurden, so dass das Heidekraut von dem roten Saft troff.
Hier ein Hünengrab, dort ein zweites; Rauchsäulen hoben sich in die stille Luft, es sei der Heidebrand, hieß es, der leuchtete schön am späten Abend. Jetzt kam der vierte Tag heran, und mit dem ging der Leichenschmaus zu Ende – nun ging es wieder von den Landdünen in die Stranddünen.
„Unsere sind doch die richtigen!“ sagte der alte Fischer, Jürgens Pflegevater, „Diese hier haben keine Macht“.
Und man sprach davon, wie die Sanddünen so ins Land hineingekommen waren, und das war alles sehr begreiflich. An der Küste war eine Leiche aufgefunden worden, die Bauern hatten sie auf dem Kirchhof begraben,da begann der Sandsturm, das Meer brach gewaltsam ein. Ein kluger Mann im Kirchspiel riet, das Grab zu öffnen und nachzusehen, ob nicht der Begrabene da liege und an seinem Daumen lutsche, denn dann wäre es ein Meermann, den sie begraben hätten, und das Meer würde nicht ruhen, bis es ihn wieder geholt habe. Das Grab wurde geöffnet – und richtig, er lag da und lutschte an dem Daumen, und nun legten sie ihn auf einen Karren, spannten zwei Ochsen vor denselben, und wie von einer Natter gebissen jagten sie nun dahin mit dem Meermann über Heide und Moorland in das Meer hinaus, da hielt der Flugsand inne, aber die Dünen liegen noch da. Dies alles hörte und behielt Jürgen im Gedächtnis aus den glücklichsten Tagen seiner Kindheit, den Tagen des Leichenschmauses.
Wie herrlich war das, hinauszukommen in fremde Gegenden und fremde Menschen zu sehen, und er sollte noch weiter kommen. Er war keine vierzehn Jahre als, noch ein Kind. Er ging auf ein Schiff, kam hinaus, um zu erfahren, was die Welt gibt: böses Wetter, starken Seegag, bösen Sinn, harte Menschen lernte er kennen, er wurde Schiffsjunge! Schlechte Kost, kalte Nächte, Prügel und Faustschläge gab es. Da spürte er etwas in seinem hochadeligen spanischen Blut, das gleichsam aufwallte und mit bitteren Worten ihm die Lippen schäumen machte – aber es war doch wohl das klügste, sie wieder zu verschlucken, und das war ein Gefühl, wie es dem Aal zumute sein muss, wenn er gehäutet, zerschnitten und in die Bratpfanne gelegt, wird.
„Ich komme wieder!“ sprach es in seinem Innern. Er sah die spanische Küste, das Vaterland seiner Eltern, die Stadt selbst, wo sie in Wohlstand und Glück gelegt hatten, sah er, aber er wusste nicht von Heimat und Familie, seine Familie wusste noch viel weniger von ihm.
Der arme Schiffsjunge durfte auch nicht an Land gehen – doch am letzten Tag, an dem das Schiff hier im Hafen lag, kam er ans Land. Es sollten verschiedene Einkäufe gemacht werden, und er sollte sie an Bord tragen.
Da stand Jürgen in schlechten Kleidern, die sahen aus, als seien sie im Graben gewaschen und im Schornstein getrocknet worden; zum ersten Mal sah er, der Dünenbewohner, eine große Stadt. Wie waren doch die Häuser hoch, die Straßen ganz mit Menschen überfüllt, einige drängten hier-, andere dorthin, es war wie ein ganzer Mahlstrom von Städtern und Bauern, von Mönchen und Soldaten, ein Schreien und Rufen, ein Klingeln von Esel- und Mauleselglöckchen, die Kirchenglocken läuteten sogar dazwischen! Sang und Klang, Hämmern und Klopfen durcheinander; jeder Berufsstand hatte seine Werkstatt im Hausflur oder auf dem Bürgersteig, und dazu brannte die Sonne so heiß, die Luft war so schwül, es war, als befände man sich in einem Backofen voll Mistkäfern, Maikäfern, Bienen und Fliegen, es summte und brummte; Jürgen wusste weder wo er ging, noch wo er stand. Da erblickte er aber gerade vor sich das mächtige Portal des Doms, die Lichter strahlten heraus aus den dunklen Wölbungen, und ein Duft von Weihrauch strömte ihm entgegen. Selbst der ärmste Bettler in Lumpen wagte sich die Treppe hinan in den Tempel. Der Matrose, dem Jürgen mitgegeben war, nahm den Weg durch die Kirche, und Jürgen stand im Heiligtum. Bunte Bilder strahlen auf goldenem Grund. Die Gottesmutter mit dem Jesuskind stand auf dem Altar, umgeben von Lichtern und Blumen, Priester in festlichen Gewändern sangen. Und schön geschmückte Chorknaben schwenkten die silbernen Räuchergefäße, welche Herrlichkeit, welche Pracht sah er hier, es durchströmte seine Seele, es überwältigte ihn. Die Kirche und der Glaube seiner Eltern umfingen ihn und schlugen einen Akkord in seiner Seele an, so dass ihm Tränen in die Augen traten.
Von der Kirche ging es auf den Marktplatz, hier bekam er eine Menge Eßwaren zu tragen. Der Weg bis zum Hafen war nicht kurz, müde und überwältigt von den wechselnden Eindrücken ruhte er einige Augenblicke aus vor einem prächtigen Haus mit marmornen Säulen, Statuen und breiten Treppenaufgängen; hier lehnte er seine Last an die Mauer, da trat ein betreßter Türsteher hervor, erhob seinen silberbeschlagenen Stock gegen ihn und jagte ihn fort, ihn – den Enkel des Hauses; aber das wusste niemand dort, er selber am allerwenigsten. Und nachher ging es wieder an Bord; Knuffe und harte Worte, wenig Schlaf und viel Arbeit – so hatte er denn auch das versucht! Und es soll gar gut sein, in der Jugend Böses zu leiden, sagt man – ja, wenn das Alter dann Gutes bringt.
Seine Verdingzeit auf dem Schiff war abgelaufen, das Fahrzeug lag wieder bei Ringkjöbing in Jütland, er kam an Land und nach Hause in die Sanddünen bei Huusby, allein die Pflegemutter war gestorben, während er auf der Reise gewesen war.
Ein strenger Winter folgte dem Sommer, Schneestürme jagten über Meer und Land dahin, man hatte Mühe, irgendwohin zu gelangen. Wie unterschiedlich war doch alles in dieser Welt verteilt! Hier heftige Kälte und Schneestürme, während im spanischen Land brennende Sonnenglut und starke Hitze herrschten; und doch, wenn es hier in der Heimat einen recht frostklaren Tag gab und Jürgen die Schwäne in Scharen über das Meer landeinwärts nach Vosborg hinausziehen sah, schien es ihm doch, als wenn man hier am leichtesten atme, und auch hier war herrlicher Sommer! In Gedanken sah er dann die Heide blühen und wuchern mit reifen, saftigen Beeren, sah den Holunder und die Linden bei Vosborg in Blüte stehen. Dorthin musste er doch noch einmal.
Der Frühling kam heran, die Fischerei begann, Jürgen war dabei ein tüchtiger Gehilfe. Er war gewachsen im verflossenen Jahr und war flink bei der Arbeit, er war voll Leben, er konnte schwimmen, Wasser treten, sich wenden und tummeln draußen in den Fluten, oft warnte man ihn, sich vor den Schwärmen der Makrelen zu hüten. Die packen den besten Schwimmer, ziehen ihn hinab, fressen ihn auf, und fort ist er; aber das wurde nicht Jürgens Los.
Beim Nachbarn in der Düne war ein Knabe namens Martin, mit dem Jürgen sich gut vertrug; beide nahmen auf ein und demselben Schiff nach Norwegen Dienst, gingen auch zusammen nach Holland, und sie hatten nie Zank miteinander, aber Zank kann es einmal leicht geben, und ist man von Natur aus heftig, so zeigt man leicht etwas zu starke Gebärden, und das tat Jürgen einmal bei einer Gelegenheit, als sie an Bord in Streit gerieten über gar nichts. Sie saßen gerade hinter der Kajüte und aßen aus einem tönernen Teller, welchen sie zwischen sich gestellt hatten; Jürgen hielt sein Taschenmesser in der Hand, zückte es gegen Martin und wurde dabei kreideweiß und blicke bös aus den Augen. Und Martin sagte nur: „Ach so, du bist einer von denen, die das Messer ziehen!“
Kaum war das gesagt, so fiel auch die Hand Jürgens herab, er erwiderte keine Silbe, aß weiter und ging darauf an seine Arbeit; als sie sich wieder ausruhten, trat er auf Martin zu und sagte:
„Schlage mich nur geradezu ins Gesicht! Ich habe es verdient! Ich habe so etwas wie einen Topf in mir, der überkocht!“ „Lassdas man gut sein!“ sprach Martin, und darauf waren sie fast doppelt so gute Freunde wie vorher, ja, als sie später nach Hause in die Dünen kamen und ihre Erlebnisse erzählten, wurde auch dieses erzählt, und Martin sagte, Jürgen sei zwar heftig, aber ein guter Kerl. Jung und gesund waren sie beide, wohlgewachsen und stark, aber Jürgen war der gewandtere.
In Norwegen ziehen die Bauersleute auf die Berge und führen das Vieh auf die Höhen, um es dort zu weiden. An der Westküste Jütlands hat man zwischen den Sanddünen Hütten errichtet, die aus Wrackteilen gezimmert und mit Heidetorf und Heidekraut gedeckt sind, Schlafstellen befinden sich rings an den Wänden, in ihnen schläft und wohnt das Fischervolk während der ersten Frühlingszeit. Jeder Fischer hat seine Gehilfin, seine Schaffnerin wie sie genannt wird, deren Tun besteht darin, den Köder an die Fischhaken zu stecken, die Fischer, wenn sie an Land kommen, mit Warmbier zu empfangen, ihnen Essen zu bereiten, wenn sie ermüdet und hungrig in die Hütte zurückkehren. Ferner schleppen die Schaffnerinnen die Fische vom Boote weg, schneiden sie auf, nehmen sie aus und haben viel zu tun.
Jürgen, sein Vater, ein paar andere Fischer und deren Schaffnerinnen hatten eine Hütte gemeinsam; Martin wohnte in der Nachbarhütte. Eins von den Mädchen, namens Else, hatte Jürgen von Kindheit an gekannt, sie sahen sich gern und hatten in vielen Dingen denselben Sinn, aber im Äußeren waren sie ganz und gar verschieden: er war braun, sie war weiß und hatte flachsgelbes Haar und Augen so blau wie das Meer bei Sonnenschein. Eines Tages, als sie zusammen gingen und Jürgen ihre Hand in der seinigen hielt, recht fest und innig hielt, sagte sie zu ihm:
„Jürgen, ich habe etwas auf dem Herzen! Lassmich Schaffnerin bei dir sein, denn du bist mir wie ein Bruder. Martin aber, der mich gemietet hat – er und ich sind Liebesleute, doch das brauchst du den anderen nicht zu erzahlen.“
Und es war Jürgen, als wenn der Flugsand sich unter ihm bewegte, er sagte kein Wort, nickte aber mit dem Kopf und das bedeutete so viel wie „ja“; mehr war nicht nötig, aber er fühlte mit einem Mal in seinem Herzen, dass er Martin nicht ausstehen konnte, und je länger er darüber nachsann, so hatte er früher nie an Else gedacht, desto klarer wurde es ihn, dass Martin ihm das einzige, das er lieb hatte, gestohlen hatte, und was war wirklich Else, jetzt war es ihm plötzlich klar.
Ist die See einigermaßen bewegt und kehren die Fischer in ihrem großen Boot zurück, dann sieh einmal, wie sie über die Riffe hinwegsetzen: einer der Leute steht aufrecht im Vorderteil des Bootes, die anderen geben auf ihn acht, sitzen an den Rudern, die sie vor dem Riff so gebrauchen, als wollten sie nicht an Land, sondern in die See hinaus, so lange, bis endlich derjenige, der im Boot aufrecht steht, ihnen ein Zeichen gibt, dass jetzt die größere Woge herankommt, die das Boot über das Riff hebt. Und das Boot wird nun auch hochgehoben, dermaßen gehoben, dass man vom Land aus seinen Kiel erblickt, im nächsten Augenblick ist das ganze Fahrzeug von den hohen Wellen gänzlich dem Auge entrückt, weder Boot noch Leute noch Mast sind zu sehen, man könnte glauben, das Meer habe sie alle verschlungen; wenige Augenblicke aber, und sie tauchen so empor, als krieche ein großes Seetier die Woge hinan, die Ruderstangen bewegen sich, als habe das Tier Beine; beim zweiten und dritten Riff geht es wie beim ersten, und nun springen die Fischer ins Wasser, ziehen das Boot ans Land, jeder Wellenschlag ist ihnen behilflich und bringt es einen guten Ruck vorwärts, bis sie es endlich aus dem Bereich der Brandung heraus haben.
Ein falscher Befehl vor dem Riff, nur ein Zaudern, und sie scheitern unfehlbar. „Dann wäre es mit mir vorbei und auch mit Martin!“ Der Gedanken überkam Jürgen draußen auf See, wo gerade sein Pflegevater ernstlich erkrankt war. Das Fieber packte ihn. Es war wenige Ruderschläge vor dem Riff, Jürgen sprang vom Sitz auf und stellte sich in das Vorderteil.
„Vater, lass mich vor!“ sprach er, und sein Blick schweifte über Martin und über die Wogen dahin, aber als jede Ruderstange sich bei den kräftigen Zügen bewegte und er an die größte Woge herankam, da sah er das blasse Antlitz seines Vaters und – konnte nicht seiner bösen Eingebung gehorchen. Das Boot kam gut über das Riff und aufs Land. Allein der böse Gedanke blieb ihm im Blut, und dieser ließ jede kleine Faser der Bitterkeit wieder hochkommen, die in seiner Erinnerung aus der Zeit der Kameradschaft zurückgeblieben war, doch zusammenzuspinnen vermöchte er die Faser nicht, und so unterließ er es, Martin hatte ihn beraubt, das fühlte er, und das genügte freilich, ihn zu hassen. Einige der Fischer bemerkten das wohl, Martin selber nicht, er war wie früher dienstwillig uni gesprächig, das letztere ein wenig zu sehr.
Jürgens Vater musste das Bett hüten, und es wurde sein Totenbett. Die Woche darauf starb er – und nun bekam Jürgen als Erbe das Hauschen hinter den Dünen, zwar ein geringes Haus, aber immerhin etwas. So viel besaß Martin nicht.
„Jetzt wirst du doch keinen Seedienst mehr nehmen, Jürgen? Wirst wohl jetzt immer bei uns bleiben!“ sprach einer der alten Fischer. Das war aber nicht nach Jürgens Sinn, er dachte gerade daran, sich wieder ein wenig in der Welt umzuschauen. Der Aalbauer aus Fjaltring hatte einen Ohm in Alt-Skagen, der war Fischer, aber zugleich ein wohlhabender Kaufmann, der Schiffe zur Seite hatte. Der sollte ein recht lieber, alter Mann sein, in dessen Dienst zu treten, wäre wohl nicht übel. Alt-Skagen liegt im hohen Norden Jütlands, so weit von den Huusby-Dünen entfernt, wie man hierzulande nur kommen kann, und das war es gerade, was Jürgen am meisten gefiel, er wollte nicht einmal bis zur Hochzeit Elses und Martins hierbleiben, die sollte in einigen Wochen stattfinden.
Das sei unklug, die Gegend zu verlassen, meinte der alte Fischer, Jürgen habe ja jetzt ein Haus, Else würde noch geneigt sein, ihn lieber zu nehmen als Martin.
Jürgen antwortete hierauf so unzusammenhängend, dass es nicht leicht war, aus seiner Rede klug zu werden, aber der Alte führte Else zu ihm. Sie sprach wenig, aber das sagte sie: „Du hast jetzt ein Haus, das muss bedacht werden“. Und Jürgen bedachte vieles. Das Meer hat schwere Wogen, das Menschenherz hat noch schwerere, viele Gedanken, starke und schwache, gingen Jürgen wirr durch den Kopf und Sinn und er fragte Else:
„Wenn nun Martin ein Haus hätte, so wie ich, wen nähmst du dann am liebsten?“ „Aber Martin hat keins und wird auch keins kriegen!“ „Aber denken wir uns, dass er eins bekäme!“ „Ja, dann nähme ich wohl Martin, denn so ist mir jetzt ums Herz – aber davon kann man doch nicht leben!“
Und Jürgen dachte darüber nach, die ganze Nacht. etwas gärte in seinem Innern, er selber vermochte nicht recht, es sich klar zu machen, aber er hatte einen Gedanken, der stärker war als seine Liebe zu Else. Und so ging er zu Martin, und was er dort sagte und tat, war wohl überlegt, er überließ Martin unter den billigsten Bedingungen das Haus, er selber wollte wieder zur See gehen, weil es ihn so gelüstete. Und Else küsste ihn mitten auf den Mund, als sie das erfuhr, denn sie zog ja Martin allen vor.
In früher Morgenstunde wollte Jürgen fort. Am Abend vorher, es war schon spät, überkam ihn die Lust, Martin noch einmal zu besuchen, er ging, und zwischen den Dünen begegnete ihm der alte Fischer, dem seine Abreise nicht gefiel. Der Alte witzelte über Martin und meinte, das gehe nicht mit rechten Dingen zu, dass alle Mädchen den so gern hätten. Jürgen schlug diese Rede in den Wind, sagte dem Alten Lebewohl und ging auf das Haus zu, wo Martin wohnte, darinnen vernahm er lautes Gerede, Martin war nicht allein; Jürgen wurde deshalb schwankend in seinem Vorsatz, mit Else mochte er am wenigsten zusammentreffen, und wenn er es sich recht überlegte, mochte er auch nicht, dass Martin sich noch einmal bei ihm bedankte, und er kehrte wieder um.
Am folgenden Morgen, vor Tagesanbruch, schnürte er seinen Ranzen, nahm sein hölzernes Eßkästchen zur Hand und schritt zwischen den Sanddünen hindurch auf den Strandweg zu. Der Weg war hier leichter zu gehen, als der schwere Sandweg und außerdem kürzer, denn er wollte erst nach Fjaltring bei Bowberg, wo der Aalbauer wohnte, dem er einen Besuch versprochen hatte.
Das Meer lag blank und blau vor ihm, Muschelschalen und Muscheln, das Spielzeug seiner Kindheit, knirschten ihm untern den Füßen. Während er so dahinschritt, begann plötzlich seine Nase zu bluten, ein geringfügiges Ereignis, das aber auch seine Bedeutung haben kann. Ein Paar große Blutstropfen fielen auf seinen Ärmel, er wischte sie ab, stillte das Blut wieder, und es schien ihm, als habe der Blutverlust ihm ordentlich Kopf und Sinn erleichtert. Im Sande glühte hin und wieder der Meerkohl, er brach einen Stengel davon ab und steckte ihn auf seinen Hut; fröhlich und guter Dinge wollte er sein, ging es doch in die weite Welt, „ein wenig vor die Tür, die Bucht hinaus“, wie die jungen Aale gesagt hatten. „Hütet euch vor den bösen Menschen, die euch fangen, das Fell abziehen, entzweischneiden und in die Bratpfanne legen!“ wiederholte er in seinem stillen Sinn und lächelte dabei, er würde schon mit heiler Haut durch die ‚Welt kommen, frischer Mut ist eine gute Wehr!
Die Sonne stand schon hoch, als er sich der schmalen Einfahrt des Nissumfjordes näherte, er blickte zurück und sah eine weite Strecke hinter sich zwei Reiter heransprengen, noch von anderen Leuten begleitet, allein das ging ihn nichts an.
Die Fähre lag auf der entgegengesetzten Seite des Fjordes; Jürgen rief den Fährmann heraus, und als dieser mit dem Boot herüberkam, stieg er ein. Doch ehe er noch die halbe Strecke der Überfahrt zurückgelegt hatte, kamen die Männer, die so eilig hinter ihm geritten waren, heran, riefen dem Fährmann zu, drohten und nannten den Namen der Obrigkeit. Jürgen begriff nicht, wozu, aber er meinte, es sei das beste, umzukehren, nahm selber die eine Ruderstange zur Hand und ruderte zurück. In demselben Augenblick, als das Boot wieder am Land anlegte, sprangen die Leute auch hinein, und eh er es sich versah, schlangen sie einen Strick um seine Hände. „Deine böse Tat wird dich das Leben kosten!“ sprachen sie, „Gut, dass wir dich haben!“ Nichts Geringeres als einen Mord warfen sie ihm vor. Man hatte Martin tot mit einem Messerstich durch den Hals, aufgefunden. Einer der Fischer war gestern Abend spät Jürgen begegnet, der zu Martin ging, es war nicht das erste Mal, dass Jürgen das Messer gegen Martin erhoben hatte, das wusste man, er musste der Mörder sein. Die Stadt und das Gericht waren weit entfernt, der Wind blies ihnen entgegen, aber um zur Fahrstelle und über die Bucht zu gelangen, brauchten sie keine halbe Stunde, von dort war es nur eine Viertelmeile nach Nörre Vosborg, dem großen Schloss mit Wällen und Gräben. Ein Fischer, ein Bruder des Großknechts dort, war einer der Reiter, und der meinte, man könnte wohl erwirken, dass Jürgen bis auf weiteres in das Loch auf Vosborg gesteckt würde, wo die Zigeunerin Langenmarthe bis zu ihrer Hinrichtung gesessen hatte.
Was Jürgen zu seiner Verteidigung sagte, wurde nicht beachtet. Ein paar Blutstropfen auf seinem Hemdärmel sprachen schwer gegen ihn. Jürgen war sich aber seiner Unschuld bewußt, und da es hier und sogleich zu keiner Rechtfertigung kommen konnte, so ergab er sich in sein Schicksal.
Man ging nun an Land, gerade an der Stelle, wo Ritter Bugges Schloss gestanden hatte, wo Jürgen mit seinen Pflegeeltern nach dem Fest, der Begräbnisfeier, umhergegangen war, die viel seligsten, lichtvollsten Tage seiner Kindheit verlebt hatte. Er wurde denselben Weg über die Wiese nach Vosborg hinangeführt, und wieder blühte hier der Holunder, die hohen Linden dufteten, ihm war, als sei er gestern hier gewesen.
In den beiden Flügeln des Schlosses führt eine Treppe unter dem Aufgang hinüber, von da aus gelangt man in einen niedrigen, gewölbten Keller; hier hatte Langenmarthe gesessen, von hier aus war sie aufs Hochgericht gewandert. Sie hatte fünf Kinderherzen gegessen und war in dem Wahne gewesen, dass sie, wenn sie noch zwei mehr bekommen hätte, denn fliegen und sich unsichtbar hätte machen können. In der Mitte des Kellers befand sich ein kleines enges Luftloch ohne Fenster. Die duftenden Linden vermochten nicht, hier hinein eine Labung zu senden, drinnen war alles dunkel und moderig. Eine Pritsche nur stand hier, aber ein gutes Gewissen ist ein gutes Ruhekissen, ja, und deshalb konnte Jürgen auch gut ruhen.
Die aus dicken Bohlen gezimmerte Tür war geschlossen, eine eiserne Stange außen vorgeschoben. Allein der Kobold des Aberglaubens schleicht sich durch ein Schlüsselloch, auf den Herrenhof so gut wie in die Fischerhütte, warum nicht hier herein, wo Jürgen saß und an Langenmarthe und ihre Untaten dachte. Ihre letzten Gedanken, die Nacht vor der Hinrichtung hatten diesen Raum erfüllt. Ihm kam all der Zauber in den Sinn, der hier in alten Zeiten gespukt hatte, als der Herr Schwanwedel hier hauste, und es war ja bekannt genug, dass heutzutage noch der Kettenhund, der auf der Brücke stand, jeden Morgen über dem Geländer an der Kette erhängt gefunden wurde. Dies alles erfüllte und durchschauerte Jürgen, doch ein Sonnenstrahl, ein labender Gedanke drang auch an diesen Ort von außen in sein Inneres, es war die Erinnerung an den blühenden Holunder und die duftenden Linden. Lange blieb er hier nicht sitzen. Man führte ihn in die Stadt Ringkjöbing, wo sein Gefängnis ebenso streng war.
Jene Zeiten waren nicht unsere; gegen den gemeinen Mann verfuhr man hart, es war nur kurz nach den Zeiten, wo Bauerngehöfte und Bauerndörfer in neuen Rittergütern aufgingen, und bei diesem Regiment wurden Kutscher und Bediente oft Gerichtsamtmänner und hatten es in der Gewalt, den Geringen und Armen oft wegen eines kleinen Vergehens zum Verlust von Hab und Gut und zum Auspeitschen zu verurteilen; noch fanden sich hier und dort Richter dieser Art, und in Jütland, weit von der Hauptstadt und dem aufgeklärten, wohlgesinnten Lenker der Regierung entfernt, wurde das Gesetz zuweilen noch gehandhabt, wie es eben ging, und das war noch das kleinste Ungemach, das Jürgen betreffen konnte, dass man seine Untersuchung in die Länge zog.
Kalt und schaurig war sein Aufenthaltsort; wann würde diese Lage wohl ein Ende haben? Unverschuldet war er in Trübsal und Elend geraten, das war sein Los! Zeit hatte er jetzt, über sein Los in dieser Welt nachzudenken und weshalb wohl gerade ihm ein solches beschieden war. Ja, das würde sich im jenseitigen Leben erst aufklären, in dem Leben nach diesem, das uns gewisslich erwartet. Der Glaube war fest in ihm geworden in der armen Fischerhütte, das, was in der Fülle und dem Sonnenschein Spaniens in seines Vaters Gedanken nicht hineingeleuchtet hatte, wurde ihm in der Dürftigkeit und Finsternis ein Licht des Trostes, ein Gnadenmittel Gottes, und das trügt nie.
Die Frühlingsstürme stellten sich ein. Man hört das Rollen und Dröhnen der Nordsee meilenweit ins Land hinein, aber erst wenn der Sturmwind aufhört. Es klingt, als wenn schwere Wagen zu Hunderten über einen harten unterhöhlten Weg dahinfahren; Jürgen vernahm diese Töne in seinem Gefängnis, und es war ihm eine Abwechslung, keine Melodie hätte ihm mehr zu Herzen gehen können als gerade diese Töne, das rollende Meer, das freie Meer, auf welchem man durch die Welt getragen wird, mit den Winden dahinfliegt und, wohin man auch gerät, sein eigen Haus bei sich führt, wie die Schnecke immer auf eigenem, auf heimatlichem Grund und Boden steht, selbst in fremdem Land.
Wie lauschte er auf das tiefe Dröhnen, wie tauchten ihm die Erinnerungen herauf: „Frei, frei!“ Wie glücklich, frei zu sein, selbst ohne Schuhe und mit zerlumpten Hemd!“ Dann und wann flammte es bei solchen Gedanken auf in seinem Innern, und er schlug mit geballter Faust gegen die dicke Wand.
Wochen, Monate, ein ganzes Jahr war verstrichen, da ergriff man einen Herumtreiber, Nils Dieb, der „Roßhändler“ wurde er auch genannt, und nun kamen die besseren Zeiten, es wurde bekannt, welches Unrecht Jürgen hatte erdulden müssen.
In der Nähe von Ringkjöbing bei einem Häusler, der einen Ausschank hatte, waren an dem Nachmittag vor Jürgens Abreise von der Heimat, und vor dem Mord, Nils Dieb und Martin zusammengetroffen. Es wurden ein paar Gläser getrunken, und die sollten wohl keinem Mann in den Kopf steigen, aber sie genügten doch, um bei Martin die Redseligkeit zu steigern, er schnitt auf, erzählte, dass er ein Haus bekommen habe und heiraten wolle, und als Nils fragte, wo das Geld dazu sei, schlug Martin hochmütig auf die Tasche und sagte: „Das Geld ist da, wo es sein soll!“.
Diese Prahlerei kostete ihm das Leben; als er sich nach Hause begab, ging Nils ihm nach und jagte ihm ein Messer durch die Kehle, um dem Ermordeten das Geld zu nehmen, das nicht vorhanden war.
Dies wurde weitläufig auseinandergesetzt; uns genügt es nun, zu wissen, dass Jürgen wieder frei kam, aber was erhielt er als Ersatz dafür, dass er Jahr und Tag im Gefängnis gelitten hatte, vor allem Verkehr mit Menschen ausgestoßen gewesen war? Man sagte ihm, es sei noch sein Glück, dass er unschuldig war, er könne jetzt gehen. Der Bürgermeister gab ihm zwei Taler Reisegeld, und mehrere Bürger der Stadt setzten ihm Essen und Bier vor. Es gab doch noch gute Menschen! Nicht alle „schinden und braten“. Aber das beste war doch, dass Kaufmann Brönne aus Skagen, derselbe, bei dem Jürgen vor einem Jahr Dienst nehmen wollte, sich gerade in diesen Tagen in Geschäften in der Stadt Ringkjöbing aufhielt; Brönne erfuhr den ganzen Zusammenhang. Herz hatte der Mann, er begriff, was Jürgen empfunden und gelitten haben musste, und er nahm sich nun vor, das wieder gutzumachen und Jürgen spüren zu lassen, dass es auch noch gute Menschen gebe.
Es ging jetzt aus dem Gefängnis in die Freiheit, ins Himmelreich zu Liebe und Herrlichkeit; auch diesen Gang sollte er wandern. Kein Becher des Lebens ist reiner Wermut, kein guter Mensch könnte einem anderen Menschen den einschenken, sollte denn Gott, die Alliebe selber, es können?
„Lassen wir das alles nun begraben und vergessen sein!“ sagte der Kaufmann Brönne; „ziehen wir einen recht dicken Strich unter das letzte Jahr, ja, wir wollen den Kalender sogar verbrennen! Und in zwei Tagen reisen wir in das friedliche, liebe und fröhliche Skagen! Ein abgelegener Winkel, sagen sie, ist Skagen. Ein lieber guter Ofenwinkel ist es, mit offenen Fenstern in die weite Welt hinaus.“
Das war eine Reise! Das hieß wieder Atemholen! Aus der kalten Gefängnisluft in den warmen Sonnenschein hinaus. Die Heide stand über und über mit blühendem Ginster in vollem Flor, und der Hirtenknabe saß auf dem Hünengrab und blies seine Flöte, die er sich aus einem Schafsknochen geschnitzt hatte. Fata morgana, die reizende Lufterscheinung der Wüste, zeigte sich mit hängenden Gärten und schwimmenden Wäldern und auch die wunderlich leichte Luftwallung, der Höhenrauch, von dem es hier heißt, es sei Lokemann, der seine Herde treibt.
Hinauf durch das Land der Wendeln, hinauf nach Skagen ging es, von wo die Männer mit den langen Bärten, die Langobarden, ausgewandert waren, damals, als unter König Snio alle Kinder und alten Leute getötet werden sollten, das edle Weib Gambaruck aber den Vorschlag machte, die jungen Leute sollten lieber auswandern. Dies alles war Jürgen bekannt, so gelehrt war er, und kannte er auch nicht das Land der Langobarden hinter den hohen Alpen, so wusste er doch, wie es dort aussehen musste, war er doch als Knabe selber im Süden, in Spanien gewesen, er gedachte der dort aufgetürmten Südfrüchte, der roten Granatblüten, des Summens, Brummens und Glockenklanges in dem großen Bienenkorb, der Stadt dort, aber am schönsten ist es doch in dem Lande der Heimat; Jürgens Heimat war Dänemark.
Endlich erreichten Sie „Wendilskaga“, wie Skagen in alten norwegischen und isländischen Schriften heißt. Schon damals dehnten sich Alt-Skagen und die West- und Oststadt meilenweit hin mit Sanddünen und Ackerland bis zu dem Leuchtturm in der Nähe von „Skagens Horn“. Die Häuser lagen dort wie jetzt, hingestreut zwischen aufgewehten, wechselnden Sandhügeln, eine Wüste, wo der Wind in dem losen Sand spielt und wo Möwen und wilde Schwäne sich hören lassen, dass es ins Ohr schneidet! Im Südwesten, eine Meile vom Meer, liegt Alt-Skagen, und hier wohnte Kaufmann Brönne, hier sollte Jürgen nun leben. Das große Wohnhaus war mit Teer angestrichen, die kleineren Wirtschaftshäuser hatten jedes ein umgestülptes Boot als Dach, der Schweinestall war aus Wrackstücken gezimmert, eine Umzäunung gab es hier nicht, war doch auch nichts da zu umzäunen, aber an Leinen in langen Reihen, eine über der anderen, hingen aufgeschnittene Fische, um im Winde zu trocknen. Das ganze Meerufer war mit verdorbenen Heringen überhäuft, das Netz war kaum ins Meer geworfen, als auch schon die Heringe fuderweise an Land gezogen wurden, es gab dort zuviel davon, man warf sie wieder ins Meer oder ließ sie am Strand liegen.
Frau und Tochter des Kaufmanns, ja, auch die Hausleute kamen dem zurückkehrenden Alten jubelnd entgegen, da war ein Händedrücken, ein Rufen, ein Reden, und die Tochter, welch liebes Gesicht und welche lieblichen Augen hatte sie! Im Hause war’s gemütlich und geräumig. Goldbutten, die ein König als ein Prachtgericht angesehen hätte, kamen auf den Tisch, Wein aus den Weinbergen Skagens, dem großen Meer, wurde aufgetragen, die Trauben rollten gekeltert an Land in Fässern und auch in Flaschen.
Als Mutter und Tochter nachher erfuhren, wer Jürgen war und wie unschuldig er gelitten hatte, blickten sie ihn noch freundlicher an, und am freundlichsten strahlten die Augen der lieblichen Jungfrau Clara. Jürgen fand eine liebe Heimat in Alt-Skagen, es tat seinem Herzen wohl, und sein Herz hatte ja viel ertragen müssen, auch den bitteren Kelch der Liebe, der verhärtet oder erweicht, ja nach den Umständen; Jürgens Herz war noch weich, es war jung, es hatte noch Raum übrig, und deshalb war es gewiss sehr gut, dass es sich so traf, dass Jungfrau Clara in drei Wochen mit dem Schiff des Vaters nach Christiansand in Norwegen hinauffahren sollte, um eine Tante zu besuchen und den ganzen Winter dort zu verweilen.
Am Sonntag vor der Abreise waren alle in der Kirche zum heiligen Abendmahl; die Kirche war groß und schön, Schotten und Holländer hatten sie vor Jahrhunderten gebaut, sie lag eine kleine Strecke von der Stadt entfernt, etwas beschädigt war sie, und der Weg in dem tiefen Sande war beschwerlich, doch man schritt gern dahin, um in Gottes Haus zu gelangen, Psalmen zu singen und die Predigt zu hören. Der Sand lag bis über die Ringmauer des Kirchhofs hin, aber die Gräber hielt man noch immer frei vom Sand.
Es war die größte Kirche nördlich den Limfjords. Jungfrau Maria mit goldener Krone auf dem Haupt und dem Jesuskind im Arme stand wie lebendig auf dem Altar, die heiligen Apostel waren im Chor ausgemeißelt, an der Wand dort hingen Porträts von den alten Bürgermeistern und Ratsherren des Städtchens Skagen. Die Kanzel war Schnitzwerk. Die Sonne schien belebend in die Kirche hinein, und ihr Glanz fiel über den blanken messingnen Kronleuchter und das kleine Schifflein, das von der Decke herabhing.
Jürgen war überwältigt von einem heiligen kindlichen Gefühl wie damals, da er als Knabe in den reichen Dom in Spanien gestanden hatte, hier aber war das Gefühl doch anders, weil er sich bewußt war, ein Glied der Gemeinde zu sein. Nach der Predigt folgte das heilige Abendmahl, er genoß das Brot und den Wein, und es fügte sich so, dass er neben Jungfrau Clara kniete. Allein seine Gedanken waren so ausschließlich auf Gott und die heilige Handlung gerichtet, dass er erst, als sie sich erhob, seine Nachbarin bemerkte. Er sah Tränen über ihre Wangen rollen.
Zwei Tage später verließ sie Skagen und ging nach Norwegen. Er blieb zurück und machte sich im Hause und in der Wirtschaft nützlich. Er ging auf Fischfang, und da waren Fische, damals in noch größerer Menge als jetzt. Die Scharen der Makrelen leuchteten in finsteren Nächten und zeigten selber an, wo sie zogen, der Knurrhahn knurrte, und die Kohlkrabbe heulte, wenn sie gejagt wurde, die Fische sind nicht so stumm, wie man von ihnen sagt; Jürgen aber war stumm mit dem, was er im Herzen trug – aber einmal würde das wohl auch ans Tageslicht gelangen.
Jeden Sonntag, wenn er in der Kirche saß und sein Blick sich auf die Muttergottes am Altar richtete, haftete sein Auge auch eine Weile auf der Stelle, wo Jungfrau Clara an seiner Seite gekniet hatte, und er gedachte ihrer und wie herzlich und gut sie gegen ihn gewesen war.
Der Herbst kam mit Regen- und Schneewetter, das Wasser blieb auf den Wegen stehen, der Sand konnte all das Wasser nicht einsaugen, man musste von Haus zu Haus waten, wenn nicht sogar im Kahn fahren. Die Stürme warfen ein Schiff nach dem anderen auf die todbringenden Riffe, Schnee- und Sandstürme rasten, der Sand flog um die Häuser herum und legte sich hoch an ihnen hinaus, so dass die Bewohner oben aus dem Schornstein hinauskriechen mussten, aber hier oben an der Nordsee Strand war das nichts Bemerkenswertes; im Zimmer war es gemütlich, gab es Schutz und Wärme, Heidetorf und Wrackstücke knisterten im Ofen, und Kaufmann Brönne las laut vor aus einer alten Chronik, las von dem Dänenprinzen Hamlet, der von England aus hier bei Bowberg an Land gegangen und eine Schlacht geliefert hatte; bei Ramme sei sein Grab, nur einige Meilen von dem Ort entfernt, wo der Aalbauer wohnte; Hünengräber zu Hunderten erhoben sich dort auf der Heide, ein großer Kirchhof. Kaufmann Brönne war dort gewesen am Grabe Hamlets. Von alten Zeiten sprach man, von den Nachbarn, den Engländern und Schotten, und Jürgen sang das Lied von „Des Königs von England Sohn“, von dem prächtigen Schiff:
Vergoldet war es von Bord zu Bord,
und geschrieben darauf stand Gottes Wort. Und gemalt es stand, wie der Königssohn
seine Braut umarmte um Minnelohn.
Diesen letzten Vers namentlich sang Jürgen mit inniger Stimme, seine Augen leuchteten dabei, sie waren ja ohnedies schwarz und strahlend von Geburt an. Und so verstrich die Winterzeit bei Lesen und Singen; Wohlstand war da und ein wahres Familienleben bis zu den Haustieren herab, und alles war gut gehalten. Die Küche blitzte von Kupfer und Zinn und weißen Tellern, und von der Decke herab hingen Würste, Schinken, Wintervorrat vollauf. Ja, das alles ist noch heute zu sehen, drüben in vielen reichen Bauerngehöften der jütländischen Westküste, vollauf Essen und Trinken, geschmückte reine Zimmer, kluge Köpfe, fröhliche Gemüter, Gastfreundschaft ist dort zu Hause wie in dem Zelt des Arabers.
Nie wieder hatte Jürgen, seit er als Kind vier Tage bei der Begräbnisfeier gewesen war, eine so angenehme Zeit verlebt, und doch war Jungfrau Clara abwesend, nur nicht in den Gedanken und der Rede.
Im April sollte ein Schiff nach Norwegen abgehen, Jürgen sollte mit demselben fahren. Er war freilich jetzt voll Leben und Humor, und gut sah er aus, wohlgenährt, sagte Mutter Brönne, es sei eine Freude, ihn anzusehen.
„Es ist auch eine Freude, dich anzusehen!“ sagte der alte Kaufmann, „Jürgen hat Leben in die Winterabende gebracht und in dich auch, Mutter! Du bist jünger geworden dieses Jahr, du siehst gut und nett aus! Du warst aber auch das schönste Mädchen in Wiborg, und das will viel heißen, denn dort habe ich immer die Mädchen am schönsten gefunden.“
Jürgen sprach nichts dazu, das schickte sich nicht, aber er dachte an ein Mädchen aus Skagen. Und zu ihr segelte er hinauf, das Schiff steuerte auf Christiansand zu und günstiger Wind führte ihn schnell zu dieser Stadt.
Eines Morgens ging Kaufmann Brönne zum Leuchtturm hinaus, der weit von Alt-Skagen steht, die Kohlen dort oben waren schon längst erloschen, die Sonne stand bereits hoch, als er den Turm erstieg. Eine ganze Meile von der äußersten Spitze des Landes aus erstrecken sich die Sandbänke unter Wasser, von diesen zeigten sich heute viele Schiffe, und unter ihnen glaubte er mit Hilfe des Fernrohres „Karen Brönne“, so hieß das Schiff, zu erkennen, und ganz richtig, es war dabei, herzusegeln, Clara und Jürgen waren an Bord. Die Kirche und der Leuchtturm Skagens zeigten sich ihnen als ein Reiher und ein Schwan auf dem blauen Gewässer. Clara saß auf Deck und sah die Sanddünen allmählich emportauchen; blieb der Wind stehen, so konnten sie in etwa einer Stunde die Heimat erreichen. So nahe waren sie ihr und der Freude – so nahe waren sie dem Tod und seiner Angst.
Eine Planke im Schiff zersprang, das Wasser drang herein; gestopft und gepumpt wurde sofort, alle Segel wurden gesetzt, die Notflagge gehißt. Sie waren aber noch eine ganze Meile vom Land entfernt, Fischerboote waren zwar zu sehen, aber in der Ferne, der Wind stand landeinwärts, die Strömung war ihnen auch günstig, doch das genügte alles nicht, das Schiff sank. Jürgen schlang seinen rechten Arm um Clara und presste sie fest an sich.
Mit welchem Blick schaute sie ihm ins Auge, als er sich im Namen des Herrn mit ihr ins Wasser stürzte. Sie stieß einen Schrei aus, aber die fühlte sich doch sicher, er würde sie nicht sinken lassen.
Was das alte Lied sang:
Und gemalt es stand, wie der Königssohn
seine Braut umarmt um Minnelohn
das tat Jürgen in der Stunde der Gefahr und Angst. Wie nützte es ihm jetzt, ein guter Schwimmer zu sein, er arbeitete sich vorwärts mit den Füßen und einem Arm, den anderen hielt er fest um das junge Mädchen geschlungen, er ruhte aus auf dem Wasser, er trat Wasser, er machte all die Bewegungen, die er kannte, damit er Kraft übrig behalte, das Land zu erreichen. Er hörte, wie Clara einen lauten Seufzer ausstieß, spürte, wie ein Zucken sie durchfuhr und er drückte sie fester an sich. Dann und wann rollte eine Woge über sie dahin, eine andere Hob sie empor, das Wasser war so tief, so klar, einen Augenblick schien es ihm, als sähe er eine blitzende Makrelenschar dort unten, oder war es Leviathan selber, der sie zu verschlingen drohte? Die Wolken waren Schatten über die Wasserfläche, dann kamen blendende Sonnenstrahlen; schreiende Vögel in großen Scharen zogen über ihn hin, und die wilden Enten, die schwer und schläfrig sich von der Strömung treiben ließen, fuhren erschrocken beim Anblick des Schwimmers auf; aber seine Kräfte nahmen ab, das fühlte er, von Land war er noch ein paar Kabellängen entfernt, doch die Hilfe kam heran, es näherte sich ein Boot – aber unter dem Wasser stand, er sah es deutlich, eine weiße, ihn anstarrende Gestalt – eine Welle hob ihn empor, die Gestalt näherte sich – er fühlte einen Stoß, es ward Nacht, alles verschwamm vor seinen Augen.
Auf der Sandbank lag des Wrack eines Schiffes, die See ging darüber hin, die weiße Galionsfigur lehnte an einem Anker, das scharfe Eisen ragte gerade bis an den Wasserspiegel herauf; Jürgen war dagegen gestoßen, die Strömung hatte ihn mit doppelter Kraft herangetrieben; ohnmächtig versank er mit seiner Last, aber die nächste Woge hob ihn und das junge Mädchen wieder empor.
Die Fischer erhaschten sie und zogen sie ins Boot hinein, das Blut strömte über Jürgens Antlitz herab, er war wie tot, aber das Mädchen hielt er so fest umklammert, dass man es mit Gewalt aus Arm und Hand herauswinden musste; totenblaß, leblos lag Clara in dem Boot ausgestreckt, das nun aufs Land zusteuerte.
Alle Mittel wurden angewendet, Clara ins Leben zurückzurufen, sie blieb tot; schon lange war er draußen auf den Fluten mit einer Leiche umhergeschwommen, hatte sich angestrengt und ermattet um einer Toten willen
Jürgen atmete noch, die Fischer trugen ihn in das nächste Haus auf den Sanddünen. Eine Art Chirurg, der dort wohnte, der übrigens zugleich Schmid und Kleinhändler war, legte Jürgen einen Notverband an, bis man am folgenden Tag den Arzt aus der nächsten Stadt holte.
Das Gehirn des Kranken war angegriffen, er raste, er stieß wilde Schreie aus, aber am dritten Tag blieb er still und ermattet auf dem Lager liegen, sein Leben schien nur an einem Faden zu hängen. Der Arzt sagte, es wäre am besten, wenn dieser Faden reißen würde. „Beten wir zu Gott, dass er ihn zu sich nimmt. Er wird nie wieder ein Mensch werden.“
Doxh das Leben ließ nicht von ihm ab, der Faden wollte nicht reißen; aber der Faden der Erinnerung riss, der Faden aller Geisteskräfte war durchschnitten, das was das Entsetzliche, ein lebendiger Körper blieb. Ein Körper, der gesunden, aber wie ein Gespenst umherwandeln sollte. Jürgen blieb im Haus des Kaufmanns Brönne. „Seine Krankheit hat er sich geholt, als er unser Kind retten wollte“, sprach der alte Mann, „er ist jetzt unser Sohn.“
Die Leute nannten Jürgen albern, allein das war nicht der rechte Ausdruck; er war wie ein Instrument, bei dem die Saiten zu locker gespannt sind, nicht mehr klingen können – nur einzelne Augenblicke, wenige Minuten bekamen sie eine Spannkraft, und alsdann ertönten sie wieder – alte Melodien klangen, einzelne Takte; Bilder rollten sich auf und schwinden wieder in Nebel hin, er saß aufs neue vor sich hinstarrend, gedankenlos da. Wir dürfen glauben, dass er dabei nicht litt. Die dunklen Augen verloren dann ihren Glanz, sie schienen nur ein schwarzes, angelaufenes Glas zu sein. „Der arme blöde Jürgen!“ sagten die Leute.
Er war es, der unter dem Herzen seiner Mutter einem Erdenleben entgegengetragen wurde so reich, dass es Übermut, ja Stolz wein würde, ein jenseitiges Leben zu wünschen, geschweige denn an ein solches zu glauben. All die großen Geistesanlagen waren demnach verloren Nur harte Tage, Schmerz und Enttäuschung waren ihm geworden. Eine Prachtzwiebel war er gewesen, aus ihrem reichen Erdboden herausgerissen und auf den Sand hingeworfen, um dort zu verdorren. Das in Gott geschaffene Bild sollte keinen besseren Wert haben? Das Ganze sollte nur ein Spiel des Zufalls sein? Nein! Der alliebende Gott musste und würde ihm Ersatz in einem anderen Leben geben für das, was er hier erlitt und vermisste. „Der Herr ist barmherzig, und seine Güte währet ewiglich!“ Diese Worte aus Davids Psalter sprach im Glauben und in Ergebung die alte, fromme Frau des Kaufmanns, und das Gebet ihres Herzens ging dahin, dass Gott Jürgen bald abrufen möge, damit er eingehen könne zum ewigen Leben.
Auf dem Kirchhof, wo der Sand über die Mauer hinweht, lag Clara begraben. Es schien, als sei Jürgen sich dessen nicht bewußt, es gehörte nicht in seine Gedankensumme, die wusste nur Wrackstücke aus einer vergangenen Zeit. Jeden Sonntag ging er mit den Alten zur Kirche und saß dort still mit gedankenlosem Blick; eines Tages, während des Psalmengesanges, stieß er einen lauten Seufzer aus, seine Augen leuchteten, sie waren dem Altar, der Stelle zugewandt, wo er vor Jahr und Tag mit seiner toten Freundin zusammen gekniet hatte, er nannte ihre Namen und wurde blaß wie eine Leiche, Tränen rollten über seine Wangen.
Man geleitete ihn aus der Kirche, und er sagte den Umstehenden, er befinde sich wohl, er sei nicht krank gewesen, er, der von Gott Geprüfte, in die Welt Hinausgeworfene, erinnerte sich dessen nicht. Und Gott, unser Schöpfer, ist weise und voller Liebe, wer kann das bezweifeln? Unser Herz und unser Verstand bestätigen es: „Seine Güte währet ewiglich!“
In Spanien, wo zwischen Orangen- und Lorbeerbäumen die maurischen Kuppeln von warmen Luftwellen umwogt sind, wo Gesang und Kastagnetten ertönen, saß in dem prächtigen Haus ein kinderloser Greis, der reichte Kaufmann des Ortes. Durch die Straßen zogen Kinder in Prozessionen mit flatternden Fahnen und flammenden Lichten. Wie viel hätte dieser Greis von seinem Reichtum gegeben, um seine Kinder an sein Herz drücken zu können, seine Tochter oder deren Kind, das vielleicht nie das Licht der Welt erblickt hatte, geschweige denn das der Ewigkeit des Paradieses? „Armes Kind!“ Ja, armes Kind! Ein Kind zwar und doch an die dreißig Jahre alt – so alt war Jürgen hier oben in Alt-Skagen geworden.
Der Flugsand hatte sich über die Gräber des Kirchhofs gelegt, ganz um die Mauer der Kirche herum, aber hier bei den Vorangegangenen, bei ihren Verwandten und Lieben, wollten und mussten die Toten doch bestattet werden. Kaufmann Brönne und seine Gattin ruhten hier bei ihren Kindern unter dem weißen Sande.
Es war Frühjahr, die Zeit der Stürme. Die Sanddünen rauchten und wirbelten empor, das Meer warf hohe Wogen, die Vögel jagten schreiend in Scharen, wie Wolken im Sturm, über die Dünen dahin. Ein Schiffbruch folgte dem anderen an den Riffen von Skagens Horn bis zu den Huusby-Dünen.
Eines Nachmittags saß Jürgen allein im Zimmer. Da wurden seine Sinne plötzlich klarer, ein Gefühl der Unruhe, das ihn oft in jüngeren Jahren in die Dünen und auf die Heide hinausgetrieben hatte, bemächtigte sich seiner.
„In die Heimat! In die Heimat!“ sprach er; niemand hörte ihn. Er ging aus dem Haus, auf die Dünen zu; Sand und Steinchen wehten ihm ins Gesicht, wirbelten um ihn herum. Er schritt immer weiter, auf die Kirche zu. Der Sand lag hoch an der Mauer, halb über die Fenster hinauf, aber vor dem Eingang war der Sand weggeschaufelt, die Kirchentür war nicht verschlossen und leicht zu öffnen; Jürgen trat in die Kirche.
Der Sturm fuhr heulend über das Städtchen Skagen dahin. Es war ein Orkan wie seit Menschengedenken nicht, ein entsetzliches Unwetter, aber Jürgen befand sich im Gotteshaus, und während es draußen finstre Nacht war, leuchtete es in seinem Innern, es war das Licht der Seele, das nimmer erlöschen kann. Den schweren Stein, der in seinem Kopf lag, fühlte er wie mit einem Knall zerspringen. Ihm schien die Orgel zu tönen, allein es war der Sturm und das dröhnende Meer. Er ließ sich auf einem der Kirchenstühle nieder und siehe, die Lichter flammten auf, Licht an Licht. Ein Reichtum entfaltete sich, wie er einen solchen nur im Lande Spanien erblickt hatte, und all die Bilder von den alten Ratsherren und Bürgermeistern wurden lebendig, sie traten aus der Wand heraus, so wie seit langen Jahren gehangen hatten, sie setzten sich unters Tor der Kirche; Tore und Türen der Kirche flogen auf, und eintraten die Toten alle, festlich gekleidet wie zu ihrer Zeit, sie schritten bei schöner Musik dahin und füllten die Plätze der Kirche. Da brauste das Psalmlied wie ein dröhnendes Meer, und seine alten Pflegeeltern aus dem Huusby-Dünen waren hier und der alte Kaufmann Brönne und seine Gattin, und ihnen zur Seite, dicht neben Jürgen, saß ihre freundliche, liebliche Tochter Clara, sie reichte Jürgen die Hand, und beide schritten nun zum Altar hin, wo sie früher gekniet hatten, und der Pfarrer legte ihre Hände ineinander, weihte sie dem Leben in Liebe. – Da brauste der Klang der Posaunen, wundervoll wie eine Kinderstimme voll Sehnen und Lust, schwoll an zum Orgelklang, zu einem Orkan von vollen, erhebenden Tönen, lieblich und beseligend anzuhören und doch mächtig zum Zersprengen der Gräber Gestein.
Und das Schifflein, das im Chor von der Decke herabhing, ließ sich nieder vor beiden, wurde wunderbar groß, prachtvoll, mit seidenen Segeln und goldenen Rahen, die Anker waren aus rotem Gold, und jedes Tau war mit Seide durchflochten, wie es in dem alten Liede hieß. Und das Brautpaar ging an Bord und die ganze Gemeinde der Kirche mit ihn, und dort war Platz und Herzlichkeit für sie alle. Und die Wände und Bögen der Kirche blühten wie der Holunder und die duftenden Linden, und lieblich schaukelten und fächerten die duftenden Zweige und Blätter Kühlung, bogen sich auseinander, trennten sich, und das Schiff erhob sich und segelte mit ihnen durch das Meer, durch die Luft, jedes Kirchenlicht war ein Stern, und der Wind stimmte ein Psalmlied an, und alle sangen mit dem Winde: „In Liebe zur Herrlichkeit!“ – „Kein Leben soll verlorengehen!“ – „Voll seliger Freude! Halleluja!“
Und diese Worte waren auch die letzten, die Jürgen in dieser Welt sprach. Das Band zerriss, dass die unsterbliche Seele zurückhielt – nur ein toter Körper lang in der finsteren Kirche, über die der Sturm dahinbrauste, sie mit Flugsand umwirbelnd.
Am folgenden Morgen war Sonntag, die Gemeinde und der Pfarrer begaben sich zum Gottesdienst. Der Weg zur Kirche war mühsam gewesen, der Sand hatte den Weg fast ungangbar gemacht, und jetzt, wo sie endlich am Ziel waren, lag ein großer Sandhügel hoch aufgetürmt vor dem Eingang zur Kirche, die Kirchentür war verschüttet. Der Pfarrer sprach ein kurzes Gebet und sagte, Gott habe die Tür dieses seines Hauses verschlossen, die Gemeinde müsse zurückkehren und dem Herrn anderswo ein neues Haus errichten. So sangen sie ein Psalmlied unter freiem Himmel und wanderten zurück in die Häuser.
Jürgen war nirgends aufzufinden, weder in der Stadt Skagen noch in den Dünen, wie sehr man ihn auch suchte. Die Wellen, die den Sand hinaufgerollt waren, hatten ihn wohl mit sich in die Fluten hinabgezogen, so meinte man. Sein Körper lag bestattet in dem größten Sarkophag, in der Kirche selbst; Gott hatte im Sturm eine Handvoll Erde auf seinen Sarg geworfen, die schwere Sandschicht lag darauf und liegt noch heute dort.
Der Flugsand hat die mächtigen Gewölbe überdeckt, Dünenweißdorn und wilde Rosen wachsen über die Kirche hin, über die der Wanderer jetzt zum Turm hinschreitet, der, ein riesiger Leichenstein auf dem Grabe, aus dem Sande emporragend, meilenweit zu sehen ist; keinem Könige setzte man einen prächtigeren Stein. Niemand stört die Ruhe der Toten; niemand wusste es, und auch niemand weiß es, erst jetzt kennen wir sein Grab – der Sturm hat mir in den Sanddünen davon gesungen.
Hintergründe zum Märchen „Eine Geschichte aus den Sanddünen“
„Eine Geschichte aus den Sanddünen“ (auch bekannt als „Die Windmühle im Sande“) ist ein Märchen des berühmten dänischen Autors Hans Christian Andersen. Es wurde erstmals im Jahr 1859 veröffentlicht und ist Teil einer Sammlung von Märchen, die Andersen in jenen Jahren verfasste.
Die Geschichte spielt in der rauen und sandigen Landschaft der dänischen Westküste, genauer gesagt auf der Halbinsel Jütland. Sie erzählt die Geschichte von zwei Freunden, Mads und Anders, die in der Nähe einer alten Windmühle leben. Die beiden teilen sich ein bescheidenes Leben und sind glücklich, bis eines Tages ein reicher Mann in die Gegend zieht und seine Tochter, die schöne Elsie, mitbringt. Die Freundschaft von Mads und Anders wird auf die Probe gestellt, als sie beide in Elsie verliebt sind und um ihre Gunst konkurrieren.
Die Sanddünen und die rauen Landschaften sind wichtige Elemente des Märchens und spiegeln das Leben der Menschen wider, die in dieser unwirtlichen Umgebung leben müssen. Die Natur spielt eine zentrale Rolle in der Geschichte, und die Windmühle symbolisiert sowohl die harte Arbeit als auch die Anpassungsfähigkeit der Menschen in dieser Region.
Andersens Märchen sind oft geprägt von moralischen Lehren und tiefgründigen Botschaften, und auch „Eine Geschichte aus den Sanddünen“ bildet hier keine Ausnahme. Die Geschichte thematisiert Themen wie Freundschaft, Liebe, Eifersucht und die Macht der Natur. Die Entscheidungen der Charaktere und die daraus resultierenden Konsequenzen sind nicht nur für ihre persönlichen Schicksale, sondern auch für die Gemeinschaft von Bedeutung.
Obwohl „Eine Geschichte aus den Sanddünen“ vielleicht nicht zu Andersens bekanntesten Werken zählt, zeigt es seine Fähigkeit, eine fesselnde und lehrreiche Geschichte in einer ungewöhnlichen und lebendigen Umgebung zu erzählen. Es ist ein Beispiel für die Faszination des Autors für die Natur und die menschliche Seele, die in vielen seiner anderen Märchen zum Ausdruck kommt.
Interpretationen zum Märchen „Eine Geschichte aus den Sanddünen“
„Eine Geschichte aus den Sanddünen“ von Hans Christian Andersen bietet Raum für verschiedene Interpretationen, die sich auf unterschiedliche Aspekte der Erzählung und der in ihr behandelten Themen konzentrieren. Hier sind einige mögliche Interpretationen des Märchens:
Natur und Mensch: Die Geschichte zeigt die Beziehung zwischen Mensch und Natur und wie die raue Landschaft der Sanddünen sowohl Herausforderungen als auch Chancen für die Menschen darstellt. Die Charaktere müssen sich an die unwirtliche Umgebung anpassen, um zu überleben und erfolgreich zu sein. Die Windmühle ist ein Symbol für die Anpassungsfähigkeit der Menschen und die Bedeutung von harter Arbeit in solch einer rauen Umgebung.
Freundschaft und Loyalität: Die Freundschaft von Mads und Anders wird durch die Einführung von Elsie auf die Probe gestellt. Die Geschichte untersucht, wie ihre Loyalität zueinander und ihre Freundschaft von der aufkeimenden Eifersucht und dem Wettstreit um Elsies Zuneigung beeinträchtigt werden. Am Ende müssen sie eine Entscheidung treffen, ob ihre Freundschaft wichtiger ist als ihre persönlichen Gefühle und Begierden.
Liebe und Eifersucht: Die Liebe und Eifersucht, die Mads und Anders für Elsie empfinden, sind zentrale Themen der Geschichte. Ihre Gefühle führen zu Konflikten und Veränderungen in ihren Beziehungen zueinander und zu anderen Dorfbewohnern. Diese Interpretation zeigt, wie Liebe und Eifersucht das Leben der Menschen beeinflussen und zu weitreichenden Konsequenzen führen können.
Die Macht der Entscheidungen: Die Geschichte thematisiert auch die Macht der Entscheidungen, die die Charaktere treffen, und wie diese sowohl ihr eigenes Schicksal als auch das der Gemeinschaft beeinflussen. Die Entscheidungen von Mads und Anders in Bezug auf ihre Gefühle für Elsie haben Konsequenzen, die über ihre persönlichen Leben hinausgehen und das gesamte Dorf betreffen.
Menschliche Schwächen und Stärken: Das Märchen zeigt die verschiedenen Schwächen und Stärken der menschlichen Natur. Eifersucht, Begierde, Liebe und Loyalität sind alles menschliche Emotionen, die in der Geschichte dargestellt und untersucht werden. Die Charaktere müssen mit diesen Emotionen umgehen und ihre inneren Konflikte bewältigen, um persönliches Wachstum und Entwicklung zu erreichen.
Insgesamt bietet „Eine Geschichte aus den Sanddünen“ mehrere Interpretationsebenen, die sowohl die Beziehung zwischen Mensch und Natur als auch die Komplexität menschlicher Emotionen und Beziehungen beleuchten.
Adaptionen zum Märchen „Eine Geschichte aus den Sanddünen“
Obwohl „Eine Geschichte aus den Sanddünen“ nicht zu den bekanntesten Märchen von Hans Christian Andersen zählt, gibt es dennoch einige Adaptionen, die auf diesem Werk basieren. Hier sind einige Beispiele:
Theaterstücke: Verschiedene Theatergruppen haben das Märchen von Andersen in Bühnenadaptionen umgesetzt. Dabei wurden sowohl traditionelle als auch moderne Inszenierungen gewählt, um die Geschichte den jeweiligen Zielgruppen näher zu bringen.
Hörspiele: „Eine Geschichte aus den Sanddünen“ wurde auch als Hörspiel adaptiert, um die Geschichte einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Diese Hörspiele bieten eine Möglichkeit, das Märchen durch die Stimmen von professionellen Sprechern und Schauspielern neu zu entdecken.
Kinderbücher: Die Geschichte von Mads, Anders und Elsie wurde auch als illustriertes Kinderbuch adaptiert, wobei die Illustrationen die raue Landschaft der Sanddünen und das Leben der Hauptfiguren einfangen.
Kurzfilme und Animationen: Es gibt einige Kurzfilme und Animationen, die auf „Eine Geschichte aus den Sanddünen“ basieren. Diese Adaptionen können als pädagogisches Werkzeug verwendet werden, um jungen Zuschauern die Themen und Botschaften des Märchens näher zu bringen.
Musikalische Interpretationen: Komponisten und Musiker haben sich von „Eine Geschichte aus den Sanddünen“ inspirieren lassen, um musikalische Werke zu schaffen, die die Stimmung und die Themen der Geschichte widerspiegeln.
Ein konkretes Beispiel für eine Adaption ist das Hörspiel „Die Windmühle im Sande – Eine Geschichte aus den Sanddünen“ von Hans Christian Andersen, veröffentlicht vom Audio Verlag in der Hörspielreihe „Die schönsten Märchen“. Dieses Hörspiel basiert auf der Originalgeschichte und erweckt sie mit professionellen Sprechern und Soundeffekten zum Leben.
Während „Eine Geschichte aus den Sanddünen“ möglicherweise weniger bekannte Adaptionen hat als einige von Andersens anderen Märchen, bleibt es dennoch ein interessantes Werk, das Raum für kreative Interpretationen und Umsetzungen bietet.
Zusammenfassung der Handlung
„Eine Geschichte aus den Sanddünen“ ist ein Märchen von Hans Christian Andersen, das im rauen und sandigen Ambiente der dänischen Westküste spielt. Die Erzählung handelt von zwei Freunden, Mads und Anders, die in der Nähe einer alten Windmühle leben und ein einfaches, aber glückliches Leben führen.
Eines Tages zieht ein reicher Mann in die Gegend und bringt seine Tochter Elsie mit. Sowohl Mads als auch Anders verlieben sich in die schöne Elsie, was zu Eifersucht und Rivalität zwischen den beiden Freunden führt. Die Freundschaft von Mads und Anders wird auf die Probe gestellt, da beide um Elsies Gunst konkurrieren.
Die raue Landschaft der Sanddünen und die Windmühle sind zentrale Elemente der Geschichte und repräsentieren die Anpassungsfähigkeit der Menschen und die Notwendigkeit harter Arbeit, um in dieser unwirtlichen Umgebung zu überleben. Die Geschichte behandelt Themen wie Freundschaft, Liebe, Eifersucht und die Macht der Entscheidungen, die die Charaktere treffen und wie diese ihr Schicksal und das der Gemeinschaft beeinflussen.
Letztendlich müssen Mads und Anders eine Entscheidung treffen, ob ihre Freundschaft wichtiger ist als ihre Liebe zu Elsie. „Eine Geschichte aus den Sanddünen“ ist ein Beispiel für Andersens Faszination für Natur und menschliche Beziehungen und enthält moralische Lehren und tiefgründige Botschaften, die typisch für seine Märchen sind.
Informationen für wissenschaftliche Analysen
Kennzahl | Wert |
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Übersetzungen | DE, EN, ES |
Lesbarkeitsindex nach Amstad | 63.4 |
Lesbarkeitsindex nach Björnsson | 45.5 |
Flesch-Reading-Ease Index | 49 |
Flesch–Kincaid Grade-Level | 12 |
Gunning Fog Index | 12.7 |
Coleman–Liau Index | 12 |
SMOG Index | 12 |
Automated Readability Index | 12 |
Zeichen-Anzahl | 78.368 |
Anzahl der Buchstaben | 62.475 |
Anzahl der Sätze | 510 |
Wortanzahl | 12.634 |
Durchschnittliche Wörter pro Satz | 24,77 |
Wörter mit mehr als 6 Buchstaben | 2617 |
Prozentualer Anteil von langen Wörtern | 20.7% |
Silben gesamt | 19.821 |
Durchschnittliche Silben pro Wort | 1,57 |
Wörter mit drei Silben | 1487 |
Prozentualer Anteil von Wörtern mit drei Silben | 11.8% |