Der alte Grabstein - Märchen von Hans Christian Andersen

Vorlesezeit für Kinder: 9 min

In einem der kleinen Marktflecken bei einem Manne, der seinen eigenen Hof hatte, saß abends in der Jahreszeit, in der die Abende länger werden, die ganze Familie im Kreise zusammen. Es war noch milde und warm. Die Lampe war angezündet, die langen Gardinen hingen vor den Fenstern nieder, auf denen Blumentöpfe standen, und draußen war herrlicher Mondschein.

Aber davon sprachen sie nicht, sie sprachen von einem alten, großen Stein, der unten im Hofe lag, dicht bei der Küchentür, wohin die Mädchen oft das geputzte Kupferzeug stellten, damit es in der Sonne trocknen sollte, und wo die Kinder gern spielten, es war eigentlich ein alter Grabstein. „Ja,“ sagte der Hausherr, „ich glaube, er stammt aus der alten, abgebrochenen Klosterkirche.

Die Kanzel, die Denkmäler und die Grabsteine wurden ja verkauft! Mein seliger Vater kaufte mehrere davon. Sie wurden zu Pflastersteinen zerschlagen, aber dieser Stein blieb übrig und liegt seitdem im Hofe.“ Man kann wohl sehen, dass es ein Grabstein ist“, sagte das älteste von den Kindern. „Es ist darauf noch ein Stundenglas und ein Stück von einem Engel zu sehen, aber die Inschrift, die darauf gestanden hat, ist schon verwischt außer dem Namen Preben und einem großen „S“, das gleich dahinter steht, und ein bisschen weiter unten steht „Marthe“.

Mehr kann man nicht herausbekommen und auch das ist nur deutlich zu sehen, wenn es geregnet hat oder wir ihn gewaschen haben.“ – „Herrgott, das ist Preben Svanes und seiner Frau Leichensteint“ sagte ein alter, alter Mann im Zimmer. Seinem Alter nach hätte er gut und gerne der Großvater all der Alten und Jungen, die hier versammelt waren, sein können. „Ja, das Ehepaar war eines der letzten, die auf dem alten Klosterkirchhofe beerdigt worden sind! Das war ein altes, ehrenhaftes Paar aus meinen Knabenjahren! Alle kannten sie, und alle liebten sie.

Sie waren das Alters-Königspaar hier in der Gegend. Die Leute sagten von ihnen, dass sie über eine Tonne Gold besäßen, doch gingen sie einfach gekleidet. im gröbsten Zeug, aber ihr Linnen war blendend weiß. Das war ein prächtiges altes Paar. Preben und Marthe. Wenn sie auf der Bank oben auf der großen Steintreppe des Hauses saßen, über die der alte Lindenbaum seine Zweige breitete, und sie so freundlich und milde nickten, wurde man ordentlich fröhlich. Sie waren unendlich gutherzig gegen die Armen! Sie speisten sie und kleideten sie, und es war Vernunft und wahres Christentum in all ihren Wohltaten.

Zuerst starb die Frau. Ich entsinne mich noch so gut des Tages. Ich war ein kleiner Knabe und mit meinem Vater drinnen beim alten Preben, als sie gerade hinübergeschlummert war. Der alte Mann war so bewegt, er weinte wie ein Kind. Die Tote lag noch in der Schlafkammer, dicht neben dem Zimmer, in dem wir saßen. Und er sprach zu meinem Vater und ein paar Nachbarn davon, wie einsam es nun sein würde, wie gut sie gewesen sei, wie viele Jahre sie zusammen gelebt hätten und wie es zugegangen wäre, dass sie einander kennen gelernt und sich lieb gehabt hätten.

Ich war, wie gesagt, klein und stand und hörte zu, aber es erfüllte mich seltsam stark, dem alten Mann zu lauschen und zu sehen, wie er immer lebhafter wurde und rote Wangen bekam, als er vom Verlobungstage sprach und davon, wie lieblich sie gewesen wäre und wie viele unschuldige, kleine Umwege er gemacht hätte, um mit ihr zusammenzutreffen. Und er erzählte vom Hochzeitstag. Seine Augen leuchteten auf dabei, er lebte sich gleichsam wieder zurück in die schönen Zeiten damals, und sie lag dicht dabei in der Kammer, tot, eine alte Frau, und er war ein alter Mann und sprach von den Zeiten der Hoffnung! – ja, ja, so gehts! Damals war ich ein Kind nur, und heute bin ich alt, alt wie Preben Svane.

Die Zeit vergeht und alles verändert sich! Ich erinnere mich noch gut ihres Begräbnistages. Der alte Preben ging dicht hinter dem Sarge her. Ein paar Jahre vorher hatte das Ehepaar seinen Grabstein meißeln lassen mit Inschrift und Namen, bis auf den Todestag. Der Stein wurde am Abend hinausgefahren und auf das Grab gelegt, und ein Jahr später wurde er wieder emporgehoben und der alte Preben kam zu seiner Frau heim. – Sie hinterließen nicht solchen Reichtum, wie die Leute geglaubt und behauptet hatten.

Das was blieb, fiel an die Familie, die weit entfernt lebte, keiner hatte sie je gekannt. Das Fachwerkhaus mit der Bank auf der hohen Steintreppe unter dem Lindenbaum wurde vom Magistrat niedergerissen, denn es war allzu baufällig, als dass man es hätte stehen lassen dürfen. Später, als es der Klosterkirche ebenso erging und der Kirchhof aufgehoben wurde, kam Prebens und Marthes Grabstein, wie alles andere von dort, zu dem, der ihn kaufen wollte, und nun hat es sich gerade so getroffen, dass er nicht mit zerschlagen und verbraucht worden ist, sondern noch immer im Hofe liegt als Spielzeug für die Kleinen und als Trockenstelle für das gescheuerte Küchenzeug der Mädchen.

Die gepflasterte Straße geht nun über die Ruhestätte des alten Preben und seiner Frau. Keiner kennt sie mehr.“ Und der alte Mann, der all dies erzählte, schüttelte wehmütig das Haupt. „Vergessen“ – „Alles wird vergessen“ sagte er. Und dann sprachen sie im Zimmer von anderen Dingen, aber der kleinste Knabe, ein Kind mit großen. ernsten Augen, kletterte auf den Stuhl hinter der Gardine und sah hinab in den Hof, wo der Mond hell auf den großen Stein schien, der ihm zuvor stets leer und flach erschienen war, nun aber da lag, wie ein großes Blatt im Buche der Geschichte.

Alles, was der Knabe von Preben und seiner Frau gehört hatte, knüpfte sich an den Stein. Und er blickte auf ihn und hinauf in den klaren, lichten Mond in der reinen, hohen Luft, und es war, als ob eines Gottes Antlitz über die Erde hinschien. „Vergessen. Alles wird vergessen!“ klang es im Zimmer, und in diesem Augenblick küsste ein unsichtbarer Engel des Kindes Brust und Stirn und flüsterte leise: „Bewahre das empfangene Samenkorn gut. Bewahre es bis zur Zeit der Reife. Durch Dich, o Kind, sollen die verwischte Inschrift, der verwitterte Grabstein in leuchtenden, goldenen Zügen für kommende Geschlechter bewahrt bleiben.

Das alte Ehepaar soll wieder Arm in Arm durch die alten Straßen wandern, mit frischen, roten Wangen lächelnd auf der Steintreppe unter dem Lindenbaum sitzen und arm und reich zunicken. Das Samenkorn aus dieser Stunde wird im Laufe der Jahre sich in eine blühende Dichtung verwandeln. Das Gute und Schöne wird nicht vergessen, es lebt in Sagen und Liedern.“

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Hintergründe zum Märchen „Der alte Grabstein“

„Der alte Grabstein“ ist ein weniger bekanntes Märchen von Hans Christian Andersen, einem berühmten dänischen Schriftsteller, der vor allem für seine Märchen und Geschichten bekannt ist. Andersen veröffentlichte seine erste Sammlung von Märchen im Jahr 1835. Während „Der alte Grabstein“ nicht zu seinen berühmtesten Geschichten zählt, zeigt es dennoch die typischen Merkmale von Andersens Schreibstil und Themen.

Der Hintergrund des Märchens könnte möglicherweise in Andersens eigenen Erfahrungen und Beobachtungen seiner Umgebung und der dänischen Kultur verwurzelt sein. Wie viele seiner Märchen, spielt auch „Der alte Grabstein“ in einer ländlichen Umgebung und zeigt das Leben gewöhnlicher Menschen. Andersen hatte oft ein besonderes Gespür dafür, das Einfache und Alltägliche mit tieferen Bedeutungen und poetischer Schönheit zu verbinden.

Ein zentrales Thema in dieser Geschichte ist das Vergessen und die Erinnerung an vergangene Zeiten und Menschen. Durch das Erzählen der Geschichte von Preben und Marthe, wird betont, wie wichtig es ist, die Erinnerungen an die Vergangenheit zu bewahren und das Gute und Schöne in Geschichten, Sagen und Liedern weiterleben zu lassen. In „Der alte Grabstein“ zeigt Andersen auch seine Fähigkeit, die Natur und die Umwelt in seine Geschichten zu integrieren. Die Szene, in der der kleine Junge auf den Grabstein und den Mond schaut, ist ein gutes Beispiel dafür, wie Andersen die Natur als Ausdruck von Schönheit und zeitloser Wahrheit verwendet.

Schließlich beinhaltet das Märchen auch eine Botschaft der Hoffnung und des Trostes. Der unsichtbare Engel, der das Kind küsst und ihm sagt, dass das Gute und Schöne in Geschichten weiterleben wird, zeigt die Kraft der Erzählung und der Poesie, die Menschen verbindet und Vergangenes bewahrt. Das Märchen „Der alte Grabstein“ ist ein Beispiel für Hans Christian Andersens Fähigkeit, einfache Alltagssituationen und gewöhnliche Menschen in poetische und tiefgründige Geschichten zu verwandeln, die sowohl universelle Themen als auch kulturelle Besonderheiten aufgreifen.

Interpretationen zum Märchen „Der alte Grabstein“

„Der alte Grabstein“ von Hans Christian Andersen ist ein Märchen, das verschiedene Interpretationen und Betrachtungsweisen zulässt. Hier sind einige mögliche Interpretationen dieses Märchens:

Erinnerung und Tradition: Eine zentrale Botschaft des Märchens ist die Wichtigkeit des Bewahrens von Erinnerungen an die Vergangenheit und das Weiterleben des Guten und Schönen durch Geschichten, Sagen und Lieder. Die Geschichte betont, wie wichtig es ist, an die Menschen zu erinnern, die vor uns gelebt haben, und ihre Tugenden und Werte für kommende Generationen zu bewahren.

Kraft der Poesie und Erzählung: In „Der alte Grabstein“ spielt die Poesie und das Erzählen von Geschichten eine entscheidende Rolle bei der Vermittlung von Werten und Erinnerungen. Der unsichtbare Engel vermittelt dem Kind die Botschaft, dass es seine Aufgabe ist, das empfangene Samenkorn in eine blühende Dichtung zu verwandeln, in der Preben und Marthe weiterleben. Diese Interpretation zeigt die transformative Kraft der Literatur und ihre Fähigkeit, die Menschen über die Zeit hinweg miteinander zu verbinden.

Vergänglichkeit und Unsterblichkeit: Das Märchen behandelt auch das Thema der Vergänglichkeit des Lebens und die Unsterblichkeit von Tugenden und Werten. Obwohl Preben und Marthe längst verstorben sind und ihre materiellen Besitztümer verschwunden sind, leben sie in der Erinnerung und in den Geschichten, die von ihnen erzählt werden, weiter. Diese Interpretation zeigt, dass materieller Reichtum und Status vergänglich sind, während immaterielle Werte wie Liebe, Güte und Mitgefühl unsterblich sind.

Die Rolle der Natur: „Der alte Grabstein“ betont die Schönheit der Natur und ihre Fähigkeit, zeitlose Wahrheiten und tiefe Emotionen auszudrücken. Die Szene, in der der kleine Junge auf den Grabstein und den Mond schaut, ist ein Beispiel dafür, wie die Natur als Spiegel menschlicher Erfahrungen und Emotionen dargestellt wird.

Bedeutung der Kindheit: Der kleine Junge in der Geschichte ist dasjenige Familienmitglied, das besonders empfänglich für die Erinnerungen an Preben und Marthe ist. Durch seine kindliche Sensibilität und Intuition ist er in der Lage, die tiefere Bedeutung hinter dem alten Grabstein und der Geschichte des alten Paares zu erfassen. Diese Interpretation zeigt die besondere Rolle, die Kinder in der Weitergabe von Erinnerungen und Traditionen spielen, und betont die Wichtigkeit, die Sensibilität und Empathie der Kindheit zu bewahren und zu schätzen.

Zusammenfassung der Handlung

Im Märchen „Der alte Grabstein“ von Hans Christian Andersen sitzt eine Familie am Abend zusammen in ihrem Haus. Die Unterhaltung dreht sich um einen alten Grabstein, der im Hof liegt und von den Kindern zum Spielen und den Dienstmädchen zum Trocknen von Küchenutensilien genutzt wird. Der Hausherr erzählt, dass der Stein vermutlich von der alten, abgebrochenen Klosterkirche stammt.

Ein alter Mann im Zimmer beginnt daraufhin, die Geschichte von Preben und Marthe, dem Ehepaar, das einst unter dem Grabstein begraben lag, zu erzählen. Er berichtet, wie das Ehepaar in der Gemeinde bekannt und geliebt war, obwohl sie einfach und bescheiden lebten. Preben und Marthe waren für ihre Freundlichkeit und Großzügigkeit gegenüber den Armen bekannt und verkörperten wahre christliche Werte.

Der alte Mann erinnert sich an den Tod von Marthe und wie Preben in seiner Trauer von der Liebe und dem Glück erzählte, das sie in ihrem Leben zusammen geteilt hatten. Nach Marthes Tod lebte Preben noch ein Jahr, bevor auch er starb und neben seiner Frau beerdigt wurde. Mit der Zeit geriet das Grab in Vergessenheit, der Grabstein wurde verkauft, und die Gegend um das Grab wurde gepflastert. Niemand erinnert sich mehr an Preben und Marthe. Während die Familie über diese Geschichte nachdenkt, schaut der jüngste Sohn aus dem Fenster und betrachtet den Grabstein im Mondlicht.

In diesem Moment küsst ein unsichtbarer Engel das Kind und flüstert ihm zu, dass er das Samenkorn dieser Geschichte bewahren und es eines Tages in eine blühende Dichtung verwandeln solle. Dadurch würden Preben und Marthe in Geschichten, Sagen und Liedern weiterleben, sodass das Gute und Schöne nicht vergessen wird.

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