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Es war einmal ein großes Wachslicht, das wusste wohl, was es war. „Ich bin in Wachs geboren und in einer Form gegossen“, sagte dasselbe. „Ich leuchte heller und brenne länger als andere Lichter; mein Platz ist auf dem Kronleuchter oder auf seinem silbernen Leuchter.“
„Das muss eine schöne Stellung sein“, sagte das Talglicht. „Ich bin nur von Talg, nur ein gezogenes Licht, aber ich tröste mich damit, dass das doch immerhin ein wenig mehr ist, als ein Küchenlicht zu sein. Das wird nur zweimal eingetunkt, ich bin achtmal eingetunkt, um meine anständige Dicke zu bekommen. Ich bin zufrieden! Gewiss ist es feiner und glücklicher, so gestellt zu sein, dass man in Wachs und nicht in Talg geboren ist, aber man bestimmt ja nicht selber seine Stellung in der Welt. Sie kommen in der Staatsstube auf den Kronleuchter, ich bleibe in der Küche; aber das ist auch ein guter Ort, von welchem das ganze Haus seine Speise bekommt.“
„Aber es gibt etwas, welches wichtiger ist als die Speise“, sagte das Wachslicht, „ich meine die Geselligkeit! Sie strahlen sehen und selber strahlen! Hier im Hause ist diesen Abend ein Ball, ich werde nun ehestens mit meiner ganzen Familie abgeholt werden!“ Kaum war das gesagt, als alle Wachslichter abgeholt wurden, aber auch das Talglicht kam mit. Die Frau nahm es selber in ihre feine Hand und trug es hinaus in die Küche. Da stand ein kleiner Knabe mit einem Korbe, welcher mit Kartoffeln gefüllt wurde, und auch ein paar Äpfel kamen hinein. Das alles gab die gute Frau dem armen Knaben.
„Da hast du auch noch ein Licht, mein kleiner Freund“, sagte sie. „Deine Mutter sitzt die ganze Nacht bei der Arbeit, sie kann es brauchen.“ Die kleine Tochter des Hauses stand daneben, und als sie die Worte hörte „die ganze Nacht“, sagte sie mit innerlicher Freude: „Ich soll auch diese Nacht auf sein, wir sollen einen Ball haben, und ich bekomme die großen roten Schleifen an.“ Wie strahlte ihr Gesicht! Das war Freude! Kein Wachslicht kann glänzen wie zwei Kinderaugen!
„Das ist hübsch zu sehen“, dachte das Talglicht, „das vergesse ich nimmer, und das sehe ich wohl niemals wieder!“ Und nun war es in den Korb gelegt, unter den Deckel, und der Knabe ging damit fort. „Wo soll ich nun hin?“ dachte das Licht. „Ich soll zu armen Leuten, bekomme vielleicht nicht einmal einen Messingleuchter, während das Wachslicht in Silber sitzt und die feinste Gesellschaft sieht! Es war nun einmal mein Schicksal, Talg und nicht Wachs zu sein!“
Und das Licht kam zu den armen Leuten, einer Witwe mit drei Kindern, in einer niedrigen Stube, dem reichen Hause gegenüber. „Gott segne die gute Frau für ihre Gabe“, sagte die Mutter, „das ist ja ein schönes Licht! Das kann die ganze Nacht hindurch brennen!“ Und das Licht wurde angezündet. „Pfui! Pfui!“ sagte es. „Das war ein garstig riechendes Schwefelholz, mit dem sie mich anzündete. So etwas bietet man dem Wachslichte drüben in dem reichen Hause gewiss nicht!“
Auch drüben zündete man die Lichter an, sie strahlten auf die Straße hinaus, Wagen mit geputzten Ballgästen rollten heran, Musik erklang. „Nun fangen sie da drüben an“, merkte das Talglicht und dachte an das freudestrahlende Gesicht des kleinen reichen Mädchens, welches heller strahlte als alle Wachslichter. „Der Anblick wird mir nimmer wieder!“
Da kam das kleinste von den Kindern in dem Hause der armen Witwe, ein kleines Mädchen war es, die fiel Bruder und Schwester um den Hals, sie hatte etwas sehr Wichtiges zu erzählen, das musste sie ganz leise sagen: „Wir sollen heute Abend – denkt nur! – wir sollen heute Abend warme Kartoffeln haben!“ Und ihr Gesicht strahlte vor Glückseligkeit, das Licht fiel gerade auf dasselbe, es sah eine Freude, ein Glück, welches ebenso groß war wie in dem reichen Hause, wo das kleine Mädchen sagte:
„Wir sollen heute Abend einen Ball haben, und ich bekomme die großen roten Schleifen an!“ „Ist es denn ebenso viel, warme Kartoffeln zu bekommen?“ dachte das Licht. „Hier ist ja ebenso große Freude bei der Kleinen“ Darauf nieste es, das heißt, es sprützte. Mehr kann ein Talglicht nicht tun. Das Tisch wurde gedeckt, die Kartoffeln verspeist, Oh, wie das schmeckt! Es war ein rechter Festschmaus, und nun bekam jedes Kind noch einen Apfel und das jüngste Kind sagte den kleinen Vers her: „Du guter Gott, ich danke dir, heut gabst du wieder Speise mir! Amen.“
„Habe ich das nicht hübsch gesagt?“ rief dann die Kleine. „Danach musst du nicht fragen, und das muss du nicht sagen“, erwiderte ihr die Mutter. „Du darfst nur allein an den lieben Gott denken, der dich gespeist hat.“ Die Kleinen gingen zu Bette, bekamen einen Kuss und schliefen gleich ein. Und die Mutter saß und nähte bis spät in die Nacht, um ihr Auskommen für sie und für sich zu verdienen. Und drüben von dem reichen Hause her strahlten die Lichter und erklang die Musik. Die Sterne blinkten über allen Häusern der Reichen und der Armen gleich klar und gleich segenvoll.
„Das war eigentlich ein schöner Abend“, meinte das Talglicht. „Ob wohl die Wachslichter auf ihren silbernen Leuchtern es besser gehabt haben mögen? Das möchte ich gerne wissen, ehe ich ausgebrannt bin.“ Und es dachte an die beiden gleich Glücklichen, die eine von Wachslichtern, die andere von einem Talglichte bestrahlt. Ja, das ist die ganze Geschichte.
Hintergründe zum Märchen „Die Lichter“
„Die Lichter“ ist ein Märchen des dänischen Schriftstellers Hans Christian Andersen. Andersen wurde am 2. April 1805 geboren und verstarb am 4. August 1875. Er ist für seine zahlreichen Märchen weltberühmt, darunter auch Klassiker wie „Die kleine Meerjungfrau“, „Das hässliche Entlein“ und „Die Prinzessin auf der Erbse“.
In „Die Lichter“ vergleicht Andersen die Schicksale eines Wachs- und eines Talglichts. Diese beiden Lichter stehen für verschiedene soziale Schichten und Lebenserfahrungen. Die Geschichte zeigt, dass Glück und Zufriedenheit nicht von Reichtum oder sozialem Status abhängen, sondern von der Wertschätzung und dem Genuss der einfachen Dinge des Lebens.
Andersen war dafür bekannt, in seinen Märchen oft metaphorisch über menschliche Natur, soziale Klassen und ethische Werte zu schreiben. In „Die Lichter“ stellt er die Schönheit der einfachen Freuden im Leben und die Bedeutung von Dankbarkeit und Zufriedenheit in den Vordergrund. Durch die Verwendung von Objekten, in diesem Fall Lichter, kann Andersen diese Botschaften auf eine leicht verständliche und unterhaltsame Weise vermitteln.
„Die Lichter“ mag zwar nicht so bekannt sein wie einige von Andersens anderen Märchen, aber es bleibt dennoch ein eindrucksvolles Beispiel für seine Fähigkeit, tiefgründige Botschaften in einfachen und zugänglichen Geschichten zu vermitteln.
Interpretationen zum Märchen „Die Lichter“
Das Märchen „Die Lichter“ von Hans Christian Andersen bietet verschiedene Interpretationsmöglichkeiten, die verschiedene Themen und moralische Botschaften beleuchten. Hier sind einige mögliche Interpretationen:
Soziale Schichten und Zufriedenheit: Die Geschichte vergleicht zwei Lichter, ein Wachslicht und ein Talglicht, die unterschiedlichen sozialen Schichten entsprechen. Das Wachslicht steht für die höhere Schicht und das Talglicht für die niedrigere. Das Märchen zeigt, dass wahres Glück nicht von der sozialen Stellung abhängt, sondern von der Zufriedenheit und Dankbarkeit für das, was man hat.
Bedeutung einfacher Freuden: Sowohl das reiche Mädchen, das sich über einen bevorstehenden Ball freut, als auch das arme Mädchen, das sich über warme Kartoffeln freut, zeigen, dass die Freude an einfachen Dingen genauso wertvoll sein kann wie Freude an materiellem Reichtum. Diese Botschaft erinnert daran, dass man sich auf die kleinen Freuden im Leben konzentrieren und sie schätzen sollte.
Menschlichkeit und Empathie: Das Talglicht zeigt Mitgefühl und Verständnis für das Glück der beiden Mädchen und erkennt die Freude in den Augen der Kinder, unabhängig von ihrem sozialen Hintergrund. Diese Interpretation unterstreicht die Bedeutung von Empathie und Mitgefühl für das Wohlergehen anderer, unabhängig von deren sozialer Stellung.
Demut und Akzeptanz des Schicksals: Das Talglicht akzeptiert seine Position im Leben, obwohl es weiß, dass es nie die gleiche Behandlung wie das Wachslicht erhalten wird. Die Geschichte lehrt, dass man sein Schicksal akzeptieren und das Beste aus den gegebenen Umständen machen sollte, anstatt sich ständig mit anderen zu vergleichen.
Die Gleichheit aller Menschen: Obwohl das Wachslicht und das Talglicht unterschiedliche soziale Schichten repräsentieren, zeigt die Geschichte, dass sie letztendlich beide Lichter sind und eine ähnliche Funktion haben. Dies kann als eine Botschaft der Gleichheit und des gemeinsamen Menschseins interpretiert werden, unabhängig von den Unterschieden in Herkunft und sozialem Status.
Insgesamt zeigt „Die Lichter“ von Hans Christian Andersen, dass wahres Glück und Zufriedenheit nicht von äußeren Umständen, sondern von der inneren Einstellung abhängen. Es ist eine Erinnerung daran, die einfachen Freuden des Lebens zu schätzen, sich auf die Bedürfnisse anderer einzustellen und demütig und dankbar für das zu sein, was man hat.
Zusammenfassung der Handlung
„Die Lichter“ ist ein Märchen von Hans Christian Andersen, das die Geschichten eines Wachslichts und eines Talglichts erzählt. Das Wachslicht, das für eine höhere soziale Schicht steht, ist stolz darauf, heller und länger als andere Lichter zu brennen und auf dem Kronleuchter oder dem silbernen Leuchter zu stehen. Das Talglicht, das für eine niedrigere soziale Schicht steht, ist zufrieden damit, zumindest besser als ein Küchenlicht zu sein.
An einem Abend wird das Wachslicht für einen Ball im reichen Haus abgeholt, während das Talglicht von der Frau des Hauses einem armen Jungen gegeben wird, dessen Mutter die ganze Nacht arbeiten muss. Das Talglicht gelangt zu einer Witwe und ihren drei Kindern und wird in ihrer bescheidenen Stube angezündet. In beiden Häusern gibt es Freude – im reichen Haus freut sich ein kleines Mädchen über den bevorstehenden Ball, während im armen Haus ein anderes Mädchen sich über die warmen Kartoffeln freut, die sie zum Abendessen haben werden.
Das Talglicht erkennt, dass wahres Glück und Freude unabhängig von Reichtum oder sozialer Stellung sind und dass die Freude an den einfachen Dingen des Lebens ebenso wertvoll sein kann wie die Freude an materiellem Reichtum. Am Ende der Geschichte fragt sich das Talglicht, ob die Wachslichter es besser hatten oder ob ihre Erfahrungen ähnlich waren, und es denkt an die beiden Mädchen, die beide glücklich waren, unabhängig von ihrem Hintergrund.
Informationen für wissenschaftliche Analysen
Kennzahl | Wert |
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Übersetzungen | DE, EN, DA, ES |
Lesbarkeitsindex nach Amstad | 81.1 |
Lesbarkeitsindex nach Björnsson | 32 |
Flesch-Reading-Ease Index | 69.8 |
Flesch–Kincaid Grade-Level | 6.9 |
Gunning Fog Index | 7.3 |
Coleman–Liau Index | 12 |
SMOG Index | 9 |
Automated Readability Index | 7.7 |
Zeichen-Anzahl | 5.295 |
Anzahl der Buchstaben | 4.169 |
Anzahl der Sätze | 64 |
Wortanzahl | 881 |
Durchschnittliche Wörter pro Satz | 13,77 |
Wörter mit mehr als 6 Buchstaben | 161 |
Prozentualer Anteil von langen Wörtern | 18.3% |
Silben gesamt | 1.282 |
Durchschnittliche Silben pro Wort | 1,46 |
Wörter mit drei Silben | 65 |
Prozentualer Anteil von Wörtern mit drei Silben | 7.4% |