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In der Schlaraffenzeit da ging ich, und sah an einem kleinen Seidenfaden hing Rom und der Lateran, und ein fußloser Mann der überlief ein schnelles Pferd, und ein bitterscharfes Schwert das durchschlug eine Brücke. Da sah ich einen jungen Esel mit einer silbernen Nase, der jagte hinter zwei schnellen Hasen her, und eine Linde, die war breit, auf der wuchsen heiße Fladen.
Da sah ich eine alte dürre Geis, trug wohl hundert Fuder Schmalzes an ihrem Leibe und sechzig Fuder Salzes. Ist das nicht gelogen genug? Da sah ich umbrechen einen Pflug ohne Ross und Rinder, und ein jähriges Kind warf vier Mühlensteine von Regensburg bis nach Trier und von Trier hinein in Straßburg. Und ein Habicht schwamm über den Rhein, das tat er mit vollem Recht.
Da hört ich Fische mit einander Lärm anfangen, dass es in den Himmel hinauf scholl, und ein süßer Honig floss wie Wasser von einem tiefen Thal auf einen hohen Berg. Das waren seltsame Geschichten.
Da waren zwei Krähen, mähten eine Wiese, und ich sah zwei Mücken an einer Brücke bauen, und zwei Tauben zerrupften einen Wolf, zwei Kinder die warfen zwei Zicklein, aber zwei Frösche droschen mit einander Getreide aus. Da sah ich zwei Mäuse einen Bischof weihen, zwei Katzen, die einem Bären die Zunge auskratzten.
Da kam eine Schnecke gerannt, und erschlug zwei wilde Löwen. Da stand ein Bartscheerer, schor einer Frauen ihren Bart ab, und zwei säugende Kinder hießen ihrer Mutter Stillschweigen. Da sah ich zwei Windhunde, brachten eine Mühle aus dem Wasser getragen, und eine alte Schindmähre stand dabei, die sprach es wäre Recht.
Und im Hof standen vier Rosse, die droschen Korn aus allen Kräften, und zwei Ziegen, die den Ofen heizten, und eine rote Kuh schoss das Brot in den Ofen. Da krähte ein Huhn „kikeriki, das Märchen ist auserzählt, kikeriki.“
Hintergründe zum Märchen „Das Märchen vom Schlaraffenland“
Das Märchen „Das Märchen vom Schlaraffenland“ (KHM 158) von den Gebrüdern Grimm ist keine typische Märchengeschichte, sondern eine Lügengeschichte, die humorvolle und offensichtlich unmögliche Situationen beschreibt. Es handelt von einer Fantasiewelt, in der Tiere und Menschen Dinge tun, die normalerweise nicht möglich sind, wie zum Beispiel Mücken, die an einer Brücke bauen, oder Tauben, die einen Wolf zerrupfen.
Das Märchen basiert auf dem mittelhochdeutschen Gedicht „Sô ist diz von lügenen“ aus dem 14. Jahrhundert, das Wilhelm Grimm in Prosa übersetzte. Die Idee des Schlaraffenlandes als Ort, an dem Faulheit belohnt wird und das Leben in jeder Hinsicht einfach und angenehm ist, stammt aus dem Spätmittelalter und war besonders in satirischen Werken wie Sebastian Brants „Narrenschiff“ (1494) zu finden.
„Schlaraffenland“ (Englisch: Cockaigne) ist in der mittelalterlichen Mythologie, ein imaginärer Ort von extremem Luxus und Leichtigkeit, an dem körperliche Bequemlichkeit und Vergnügen immer sofort erfüllt werden und wo die Härte des mittelalterlichen Bauernlebens nicht existiert. Insbesondere in Gedichten wie „Das Land des Schlaraffenlandes“ ist es ein Land, in dem alle Einschränkungen der Gesellschaft missachtet werden könnten. Wie Atlantis und El Dorado ist das Land Schlaraffenland eine Utopie. Es ist ein fiktiver Ort, an dem, in einer Parodie auf das Paradies, Müßiggang und Völlerei die Hauptbeschäftigungen sind.
Die Gebrüder Grimm nahmen das Märchen in die zweite Auflage ihrer Sammlung „Kinder- und Hausmärchen“ (1819) auf und veränderten es im Laufe der verschiedenen Auflagen. Ludwig Bechstein übernahm eine Version des Märchens in sein „Deutsches Märchenbuch“ und betonte in seiner Fassung eher den Aspekt von Essen und Trinken im Schlaraffenland, was heute oft mit dem Begriff Schlaraffenland assoziiert wird. Das Märchen vom Schlaraffenland ist ein Beispiel für die Vielfalt der Erzählungen, die die Gebrüder Grimm in ihrer Sammlung aufgenommen haben, und zeigt, dass es neben den klassischen Märchen auch solche Geschichten gab, die eher humoristisch oder satirisch waren und die menschlichen Schwächen und Wünsche aufs Korn nahmen.
Unterschiede zwischen Ludwig Bechstein und den Brüdern Grimm
„Das Märchen vom Schlaraffenland“, in verschiedenen Versionen von Ludwig Bechstein und den Brüdern Grimm erzählt, ist eine Geschichte, die von einem utopischen Land handelt, in dem Überfluss herrscht und keine Arbeit notwendig ist. Bechsteins Version beschreibt Schlaraffenland als einen Ort, an dem die Dächer der Häuser mit Eierkuchen bedeckt sind, Zäune aus Bratwürsten geflochten werden und aus den Brunnen süßer Wein fließt. In diesem Land wachsen frische Brötchen an Bäumen, und unter den Bäumen fließen Milchbäche. Fische und gebratene Vögel kommen von selbst zu den Menschen, und Spanferkel laufen mit Messern im Rücken herum, bereit, verspeist zu werden. Kleidung und Schuhe wachsen ebenfalls an Bäumen. In Bechsteins Märchen ist Faulheit eine Tugend und Fleiß ein Laster, wobei am Ende eine moralisierende Botschaft steht, die das Streben nach einem solchen Utopia in Frage stellt.
Die Version der Brüder Grimm, bekannt als „Märchen vom Schlauraffenland“, wird als Lügengeschichte beschrieben und enthält ähnlich fantastische Elemente. Es erzählt von einem fußlosen Mann, der schneller als ein Pferd läuft, einem Schwert, das eine Brücke durchschneidet, und einem Esel, der Hasen jagt. Zwei Krähen mähen eine Wiese, Mücken bauen an einer Brücke, und Tauben zerrupfen einen Wolf. Außerdem gibt es Mäuse, die einen Bischof weihen, und Katzen, die einem Bären die Zunge auskratzen. Am Ende der Geschichte steht das Aussprechen der Absurdität all dieser Begebenheiten, unterstrichen durch das Krähen eines Huhns, das das Ende des Märchens verkündet. Beide Versionen des Märchens spielen mit der Idee des Unmöglichen und Absurden und stellen eine Welt dar, in der die gewöhnlichen Regeln der Realität nicht gelten.
Interpretationen zum Märchen „Das Märchen vom Schlaraffenland“
Das Märchen vom Schlaraffenland (KHM 158) von den Gebrüdern Grimm lässt sich auf verschiedene Weise interpretieren. Hier sind einige mögliche Interpretationsansätze:
Satire und Gesellschaftskritik: Das Schlaraffenland kann als satirische Darstellung der menschlichen Wünsche und Sehnsüchte betrachtet werden. Die Geschichte macht sich über die menschliche Faulheit und den Wunsch nach einem Leben ohne Anstrengung lustig. In diesem Sinne kann das Märchen als Gesellschaftskritik gesehen werden, die darauf abzielt, die Leser dazu zu bringen, über ihre eigenen Werte und Motivationen nachzudenken.
Utopie und Dystopie: Das Schlaraffenland kann als eine Art Utopie betrachtet werden, in der alles, was die Menschen sich wünschen, erfüllt ist. Gleichzeitig kann es auch als Dystopie gesehen werden, da das Leben in einer Welt ohne Herausforderungen und Anstrengungen letztendlich langweilig und sinnlos wäre. Diese Interpretation lädt dazu ein, über das Konzept von Utopien und Dystopien nachzudenken und die Bedeutung von Arbeit und Anstrengung für ein erfülltes Leben zu hinterfragen.
Realitätsflucht und Fantasie: Das Märchen kann auch als Ausdruck der menschlichen Fähigkeit zur Fantasie und Realitätsflucht gesehen werden. Die humorvollen und absurden Situationen im Schlaraffenland bieten eine Möglichkeit, dem Alltag zu entfliehen und sich in einer Welt der Wünsche und Träume zu verlieren. Diese Interpretation betont den unterhaltsamen und eskapistischen Aspekt des Märchens.
Moralische Botschaft: Obwohl das Märchen vom Schlaraffenland keine explizite moralische Botschaft enthält, kann es dennoch als eine Erinnerung an die Bedeutung von Fleiß und Arbeit interpretiert werden. In einer Welt, in der alles mühelos erreicht wird, gäbe es keinen Anreiz für persönliches Wachstum oder Selbstverbesserung. Daher kann das Märchen als eine Warnung vor den Gefahren von Faulheit und der Anziehungskraft eines scheinbar idealen Lebens ohne Anstrengung gelesen werden.
Die verschiedenen Interpretationsansätze zeigen, dass das Märchen vom Schlaraffenland eine vielschichtige Geschichte ist, die sowohl als humorvolle Lügengeschichte als auch als kritische Reflexion über menschliche Wünsche und Schwächen gelesen werden kann. Die holländischen Dörfer Kockengen und Koekange können nach Schlaraffenland benannt sein, obwohl dies umstritten ist. Der Familienname Cockayne leitet sich ebenfalls von dem mythischen Land ab und war ursprünglich ein Spitzname für einen müßigen Träumer.
Adaptionen zum Märchen „Das Märchen vom Schlaraffenland“
Das Märchen „Das Märchen vom Schlaraffenland“ (KHM 158) von den Gebrüdern Grimm hat im Laufe der Zeit einige Adaptionen erfahren. Hier sind einige konkrete Beispiele:
Literatur: Ludwig Bechsteins „Das Märchen vom Schlaraffenland“: Bechstein übernahm das Märchen in sein „Deutsches Märchenbuch“ und legte den Schwerpunkt stärker auf den Aspekt von Essen und Trinken im Schlaraffenland. In dieser Version fliegen gebratene Vögel durch die Luft, und die Flüsse sind mit Milch und Honig gefüllt. Bechsteins Version hat dazu beigetragen, das heutige Bild vom Schlaraffenland als eine Welt des kulinarischen Überflusses zu prägen. August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Hoffmann von Fallersleben verfasste ein Gedicht mit dem Titel „Vom Schlaraffenlande“, das von der Idee des Schlaraffenlandes inspiriert ist und verschiedene Aspekte der unmöglichen Welt beschreibt. In Specimens of Early English Poets (1790) druckte George Ellis ein französisches Gedicht aus dem 13. Jahrhundert mit dem Titel „The Land of Cockaigne“, in dem „die Häuser aus Gerstenzucker und Kuchen bestanden, die Straßen mit Gebäck gepflastert waren und die Geschäfte Waren umsonst lieferten“.
Filmadaption „Das Märchen vom Schlaraffenland“ (2016): Diese Verfilmung aus der ARD-Reihe „Sechs auf einen Streich“ basiert auf Motiven von Bechsteins Version des Märchens und dem Gedicht „Vom Schlaraffenlande“ von Hoffmann von Fallersleben. In dieser Verfilmung wird die Geschichte in einem Märchenfilm-Format präsentiert, wobei der Schwerpunkt auf der humorvollen Darstellung der unmöglichen Welt liegt.
Theaterstücke und Kindertheater: Das Märchen vom Schlaraffenland wurde in verschiedenen Bühnenadaptionen präsentiert, oft als Kindertheaterstück oder als Teil von Märchenkompilationen. Diese Adaptionen bringen die humorvollen und absurden Aspekte der Geschichte auf die Bühne und bieten den Zuschauern eine unterhaltsame und phantasievolle Auseinandersetzung mit dem Märchen. Der Komponist Edward Elgar verwendete das Wort „Cockaigne“ für seine Konzertouvertüre und Suite „Cockaigne (In London Town)“, op. 40 (1901).
Illustrationen: Künstler wie Otto Ubbelohde und andere haben das Märchen vom Schlaraffenland im Laufe der Zeit illustriert, wobei sie oft humorvolle und fantasievolle Darstellungen der unmöglichen Welt schaffen. Diese Illustrationen haben dazu beigetragen, das Märchen und seine Ideen in der Populärkultur lebendig zu erhalten.
Diese verschiedenen Adaptionen zeigen, wie das Märchen vom Schlaraffenland im Laufe der Zeit in unterschiedlichen Medien und Formaten interpretiert und dargestellt wurde, wobei der Schwerpunkt oft auf den humorvollen und absurden Aspekten der Geschichte liegt.
Zusammenfassung der Handlung
„Das Märchen vom Schlaraffenland“ (KHM 158) von den Gebrüdern Grimm ist keine klassische Märchengeschichte mit einer durchgehenden Handlung, sondern eine Lügengeschichte, die eine Reihe offensichtlich unmöglicher und widersinniger Beobachtungen und Situationen präsentiert. Diese finden in der fiktiven Welt des Schlaraffenlandes statt, in der Faulheit belohnt wird und das Leben auf humorvolle Weise einfach und angenehm ist.
In der Geschichte werden verschiedene humorvolle und absurde Szenen beschrieben, in denen Menschen und Tiere Dinge tun, die normalerweise nicht möglich sind. Beispiele dafür sind Mücken, die an einer Brücke bauen, Tauben, die einen Wolf zerrupfen, oder gebratene Vögel, die durch die Luft fliegen. Das Märchen gibt keine lineare Handlung oder eine bestimmte moralische Botschaft wieder, sondern präsentiert stattdessen eine Sammlung von skurrilen und amüsanten Situationen, die die Leser zum Schmunzeln bringen sollen.
Der Text präsentiert eine Reihe phantastischer und absurd wirkender Szenarien, die sich an die Tradition der Volksmärchen anlehnen. In dieser Welt werden die Gesetze der Logik und die gewohnten Ordnungen aufgehoben. Es werden Ereignisse beschrieben, bei denen unbelebte Objekte und Tiere ungewöhnliche und unmögliche Handlungen vollziehen, wie zum Beispiel ein Esel, der Hasen jagt, oder Krähen, die eine Wiese mähen. Menschliche Charaktere und Tiere verhalten sich auf unerwartete Weise, die Physik wird außer Acht gelassen und die Grenzen des Möglichen werden überschritten. Diese skurrilen und fantastischen Vorfälle kreieren eine Welt, in der das Unmögliche alltäglich und das Absurde zur Norm wird. Die Erzählung endet mit einem Huhn, das das Ende des Märchens verkündet, was den spielerischen und märchenhaften Charakter des Textes unterstreicht.
Informationen für wissenschaftliche Analysen
Kennzahl | Wert |
---|---|
Nummer | KHM 158 |
Aarne-Thompson-Uther-Index | ATU Typ 1930 |
Übersetzungen | DE, EN, DA, ES, PT, IT, JA, NL, PL, RU, TR, VI, ZH |
Lesbarkeitsindex nach Amstad | 71 |
Lesbarkeitsindex nach Björnsson | 38.4 |
Flesch-Reading-Ease Index | 57.9 |
Flesch–Kincaid Grade-Level | 10.2 |
Gunning Fog Index | 10.5 |
Coleman–Liau Index | 12 |
SMOG Index | 11.2 |
Automated Readability Index | 11.3 |
Zeichen-Anzahl | 1.848 |
Anzahl der Buchstaben | 1.454 |
Anzahl der Sätze | 15 |
Wortanzahl | 303 |
Durchschnittliche Wörter pro Satz | 20,20 |
Wörter mit mehr als 6 Buchstaben | 55 |
Prozentualer Anteil von langen Wörtern | 18.2% |
Silben gesamt | 460 |
Durchschnittliche Silben pro Wort | 1,52 |
Wörter mit drei Silben | 29 |
Prozentualer Anteil von Wörtern mit drei Silben | 9.6% |