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„Wo weidet Ihr Eure Herde am liebsten?“ fragte einer einen alten Kuhhirten.
„Hier, Herr, wo das Gras nicht zu fett ist und nicht zu mager. Es tut sonst kein gut.“
„Warum nicht?“ fragte der Herr.
„Hört Ihr dort von der Wiese her den dumpfen Ruf?“ antwortete der Hirt, „das ist der Rohrdommel, der war sonst ein Hirte, und der Wiedehopf war es auch. Ich will Euch die Geschichte erzählen.“
Der Rohrdommel hütete seine Herde auf fetten grünen Wiesen, wo Blumen im Überfluss standen, davon wurden seine Kühe mutig und wild. Der Wiedehopf aber trieb das Vieh auf hohe dürre Berge, wo der Wind mit dem Sand spielt, und seine Kühe wurden mager und kamen nicht zu Kräften.
Wenn es Abend war und die Hirten heimwärts trieben, konnte Rohrdommel seine Kühe nicht zusammenbringen, sie waren übermütig und sprangen ihm davon. Er rief „bunte Kuh, herum“, doch vergebens, sie hörten nicht auf seinen Ruf.
Wiedehopf aber konnte sein Vieh nicht auf die Beine bringen, so matt und kraftlos war es geworden. „Up, up, up!“, schrie er, aber es half nicht, sie blieben auf dem Sand liegen.
So geht’s, wenn man kein Maß hält. Noch heute, wo sie keine Herde mehr hüten, schreit Rohrdommel „bunt, herum,“ und der Wiedehopf „up, up, up!“
Hintergründe zum Märchen „Rohrdommel und Wiedehopf“
Das Märchen „Rohrdommel und Wiedehopf“ (KHM 173) von den Brüdern Grimm basiert auf einer Sage, die von Johann Jakob Nathanael Mussäus stammt. Es handelt sich um eine sogenannte ätiologische Erzählung, die versucht, die Ursprünge bestimmter Verhaltensweisen oder Erscheinungen in der Natur zu erklären. In diesem Fall erklärt das Märchen, warum der Rohrdommel und der Wiedehopf ihre charakteristischen Rufe ausstoßen.
Der Hintergrund des Märchens bezieht sich auf die archaische Vorstellung der Vogelgestalt der menschlichen Seele. Die Sage lässt sich auf die mythischen Vorstellungen zurückführen, dass Menschen und Tiere in der Vergangenheit eng miteinander verbunden waren und sich gegenseitig beeinflussten. Die Erzählung zeigt die Konsequenzen, die entstehen, wenn Menschen (in Form von Rohrdommel und Wiedehopf) kein Maß in ihren Handlungen halten.
Die Sage wurde ursprünglich von Mussäus veröffentlicht, bevor sie in der vierten Auflage der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm (1840) aufgenommen wurde. Wilhelm Grimm hat das Märchen zusammen mit anderen Sagen von Mussäus übernommen, wie „Der Zaunkönig“ (KHM 171) und „Die Scholle“ (KHM 172). Die Brüder Grimm waren für ihre Sammlung und Bearbeitung von Volksmärchen und Sagen bekannt und haben zahlreiche Geschichten für spätere Generationen bewahrt.
Die Sage „Rohrdommel und Wiedehopf“ wurde ebenfalls von Ludwig Bechstein in sein „Neues deutsches Märchenbuch“ (1856) aufgenommen. Bechstein erweiterte die Geschichte und fügte einen Wanderer hinzu, der sich über die Rufe der Vögel wundert und daraufhin die Sage erzählt bekommt.
Interpretationen zum Märchen „Rohrdommel und Wiedehopf“
Das Märchen „Rohrdommel und Wiedehopf“ (KHM 173) von den Brüdern Grimm kann auf verschiedene Weise interpretiert werden. Hier sind einige mögliche Interpretationen:
Moralische Botschaft: Eine Interpretation des Märchens liegt in seiner moralischen Botschaft, die besagt, dass Menschen ein Gleichgewicht in ihren Handlungen finden sollten. Die Geschichte zeigt zwei Kuhhirten, die ihre Tiere entweder auf zu fetten oder zu dürren Weiden hüten. Das Märchen betont die Wichtigkeit, Maß zu halten und Extreme zu vermeiden.
Ätiologische Erklärung: Eine weitere Interpretation des Märchens bezieht sich auf seine Funktion als ätiologische Erklärung für das Verhalten der beiden Vögel, Rohrdommel und Wiedehopf. Die Geschichte erklärt die Ursprünge der charakteristischen Rufe dieser Vögel, indem sie deren menschliche Vergangenheit als Kuhhirten aufzeigt. Die Rufe sind somit als eine Art Erinnerung an ihre menschliche Vergangenheit zu verstehen.
Verbindung von Mensch und Natur: Das Märchen kann auch als eine Geschichte interpretiert werden, die die Verbindung zwischen Menschen und der natürlichen Welt betont. Die menschlichen Kuhhirten verwandeln sich in Vögel und übernehmen dadurch deren typische Verhaltensweisen. Diese Verwandlung kann als eine Art Verschmelzung von menschlicher und tierischer Natur gesehen werden, die darauf hindeutet, dass Menschen und Tiere trotz ihrer Unterschiede auf einer tieferen Ebene miteinander verbunden sind.
Archaische Vorstellungen: Die Erzählung beruht auf der archaischen Vorstellung der Vogelgestalt der menschlichen Seele. Diese Interpretation zeigt, wie alte Vorstellungen und Überzeugungen in Volksmärchen und Sagen fortbestehen und sich im Laufe der Zeit weiterentwickeln können. Es spiegelt auch das menschliche Bedürfnis wider, Geschichten zu erfinden, um die Welt um sie herum zu erklären und zu verstehen.
Insgesamt zeigt das Märchen „Rohrdommel und Wiedehopf“ (KHM 173) von den Brüdern Grimm verschiedene Interpretationsebenen, die sich mit Themen wie Moral, Ätiologie, Mensch-Natur-Beziehungen und archaischen Vorstellungen befassen.
Adaptionen zum Märchen „Rohrdommel und Wiedehopf“
Obwohl das Märchen „Rohrdommel und Wiedehopf“ (KHM 173) von den Brüdern Grimm weniger bekannt ist als andere Märchen, wurden einige Adaptionen und künstlerische Interpretationen vorgenommen. Hier sind einige Beispiele:
Illustrationen: Verschiedene Künstler haben im Laufe der Zeit Illustrationen zum Märchen „Rohrdommel und Wiedehopf“ angefertigt. Zum Beispiel hat Otto Ubbelohde im Jahr 1909 eine Illustration zu dieser Geschichte geschaffen. Ebenso haben Ludwig Bechsteins Märchenbuch und die verschiedenen Ausgaben der Grimmschen Märchen Illustrationen enthalten, die auf dieser Sage basieren.
Theateraufführungen: In einigen Fällen wurden Szenen aus dem Märchen „Rohrdommel und Wiedehopf“ in Theateraufführungen oder als Teil von Märchenfestivals aufgeführt. Diese Aufführungen können entweder traditionell inszeniert oder modern interpretiert sein, um dem Publikum die Geschichte näher zu bringen.
Musikalische Adaptionen: Komponisten und Musiker könnten sich von der Geschichte von Rohrdommel und Wiedehopf inspirieren lassen, um musikalische Werke zu schaffen, die sich auf die Themen und Motive des Märchens beziehen. Dabei könnten zum Beispiel die charakteristischen Rufe der beiden Vögel als musikalische Elemente in die Komposition integriert werden.
Moderne Nacherzählungen: Schriftsteller könnten sich von der Geschichte von Rohrdommel und Wiedehopf inspirieren lassen, um moderne Nacherzählungen oder Adaptionen des Märchens zu schreiben. Dabei könnten die Themen der Geschichte, wie die Verbindung von Mensch und Natur oder die Moral, Maß zu halten, in einer zeitgenössischen Erzählung neu interpretiert werden.
Es ist wichtig zu beachten, dass das Märchen „Rohrdommel und Wiedehopf“ nicht so bekannt ist wie andere Märchen der Brüder Grimm und daher weniger Adaptionen und Interpretationen erfahren hat. Trotzdem sind die oben genannten Beispiele einige Möglichkeiten, wie dieses Märchen in verschiedenen künstlerischen Formen angepasst und interpretiert werden kann.
Zusammenfassung der Handlung
„Rohrdommel und Wiedehopf“ ist eine Sage aus den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. Die Geschichte erzählt von einem alten Kuhhirten, der beschreibt, dass Rohrdommel und Wiedehopf in der Vergangenheit ebenfalls Kuhhirten waren. Während Rohrdommel seine Kühe auf fette, blumenreiche Weiden trieb, führte Wiedehopf seine Tiere auf dürre Berge.
Am Abend, als es Zeit war, die Tiere zusammenzutreiben, rief Rohrdommel „bunt, herüm“ (bunte Kuh, herum), um seine übermütigen Kühe einzusammeln. Wiedehopf hingegen rief „up, up, up!“, um seine erschöpften Tiere aufzurichten. Die Sage erklärt, warum der Rohrdommel und der Wiedehopf noch heute diese charakteristischen Rufe von sich geben. Die Erzählung betont die Bedeutung des Maßhaltens und zeigt die Folgen auf, wenn Menschen entweder zu viel oder zu wenig tun.
Informationen für wissenschaftliche Analysen
Kennzahl | Wert |
---|---|
Nummer | KHM 173 |
Aarne-Thompson-Uther-Index | ATU Typ 236 |
Übersetzungen | DE, EN, DA, ES, PT, IT, JA, NL, PL, RU, TR, VI, ZH |
Lesbarkeitsindex nach Amstad | 84.1 |
Lesbarkeitsindex nach Björnsson | 25 |
Flesch-Reading-Ease Index | 73.2 |
Flesch–Kincaid Grade-Level | 5.9 |
Gunning Fog Index | 6 |
Coleman–Liau Index | 10.7 |
SMOG Index | 8.8 |
Automated Readability Index | 5.6 |
Zeichen-Anzahl | 1.251 |
Anzahl der Buchstaben | 940 |
Anzahl der Sätze | 18 |
Wortanzahl | 209 |
Durchschnittliche Wörter pro Satz | 11,61 |
Wörter mit mehr als 6 Buchstaben | 28 |
Prozentualer Anteil von langen Wörtern | 13.4% |
Silben gesamt | 301 |
Durchschnittliche Silben pro Wort | 1,44 |
Wörter mit drei Silben | 17 |
Prozentualer Anteil von Wörtern mit drei Silben | 8.1% |