Vorlesezeit für Kinder: 7 min
ERSTES MÄRCHEN
Vorgelesen von Henning Vieser
Es war einmal ein alter Fuchs mit neun Schwänzen, der glaubte, seine Frau wäre ihm nicht treu, und wollte er sie in Versuchung führen. Er streckte sich unter die Bank, regte kein Glied und stellte sich, als wenn er mausetot wäre.
Die Frau Füchsin ging auf ihre Kammer, schloss sich ein, und ihre Magd, die Jungfer Katze, saß auf dem Herd und kochte. Als es nun bekannt ward, dass der alte Fuchs gestorben war, so meldeten sich die freien Tiere. Da hörte die Magd, dass jemand vor der Haustüre stand und anklopfte. Sie ging und machte auf, und da war’s ein junger Fuchs, der sprach
„was mache sie, Jungfer Katze?
schläft se oder wacht se?“
Sie antwortete
„ich schlafe nicht, ich wache.
Will er wissen, was ich mache?
Ich koche warm Bier, tue Butter hinein:
will der Herr mein Gast sein?“
„Ich bedanke mich, Jungfer,“ sagte der Fuchs, „was macht die Frau Füchsin?“ Die Magd antwortete
„sie sitze auf ihrer Kammer,
sie beklagt ihren Jammer,
weint ihre Äuglein seidenrot,
weil der alte Herr Fuchs ist tot.“
„Sag sie ihr doch, Jungfer, es wäre ein junger Fuchs da, der wollte sie gerne freien.“ – „Schon gut, junger Herr.“
Da ging die Katz die Tripp die Trapp,
Da schlug die Tür die Klipp die Klapp.
„Frau Füchsin, sind Sie da?“
„Ach ja, mein Kätzchen, ja.“
„Es ist ein freier Mann drauß‘.“
„Mein Kind, wie siehe er aus?
Hat er denn auch neun so schöne Zeiselschwänze wie der selige Herr Fuchs?“ – „Ach nein,“ antwortete die Katze, „er hat nur einen.“ – „So will ich ihn nicht haben.“ Die Jungfer Katze ging hinab und schickte ihn fort. Bald darauf klopfte es wieder an, und war ein anderer Fuchs vor der Türe, der wollte die Frau Füchsin freien. Er hatte zwei Schwänze; aber es ging ihm nicht besser als dem ersten.
Danach kamen noch andere, immer mit einem Schwanz mehr, die alle abgewiesen wurden, bis zuletzt einer kam, der neun Schwänze hatte wie der alte Herr Fuchs. Als die Witwe das hörte, sprach sie voll Freude zu der Katze
„nun macht mir Tor und Türe auf,
und kehrt den alten Herrn Fuchs hinaus.“
Als aber eben die Hochzeit sollte gefeiert werden, da regte sich der alte Herr Fuchs unter der Bank, prügelte das ganze Gesindel durch und jagte es mit der Frau Füchsin zum Haus hinaus.
ZWEITES MÄRCHEN
Vorgelesen von Henning Vieser
Als der alte Herr Fuchs gestorben war, kam der Wolf, klopfte an die Türe, und die Katze, die als Magd bei der Frau Füchsin diente, machte auf. Der Wolf grüßte sie und sprach
„guten Tag, Frau Katz von Kehrewitz,
wie kommt’s, dass sie alleine sitzt?
was macht sie Gutes da?“
Die Katze antwortete
„brock mir Wecke und Milch ein:
will der Herr mein Gast sein?“
„Dank schön, Frau Katze,“ antwortete der Wolf, „die Frau Füchsin nicht zu Haus?“
Die Katze sprach
„sie sitzt droben in der Kammer,
beweint ihren Jammer,
beweint ihre große Not,
dass der alte Herr Fuchs ist tot.“
Der Wolf antwortete
„will sie haben einen anderen Mann,
so soll sie nur herunter gan.“
Die Katz, die lief die Trepp‘ hinan
und ließ ihr Zeilchen rummer gan,
bis sie kam vor den langen Saal:
klopft an mit ihren fünf goldenen Ringen.
„Frau Füchsin, ist sie drinnen?
Will sie haben einen anderen Mann,
so soll sie nur herunter gan.“
Die Frau Füchsin fragte: „hat der Herr rote Höslein an, und hat er ein Spitzmäulchen?“ – „Nein,“ antwortete die Katze. „So kann er mir nicht dienen.“
Als der Wolf abgewiesen war, kam ein Hund, ein Hirsch, ein Hase, ein Bär, ein Löwe, und nacheinander alle Waldtiere. Aber es fehlte immer eine von den guten Eigenschaften, die der alte Herr Fuchs gehabt hatte, und die Katze musste die Männer jedesmal wegschicken. Endlich kam ein junger Fuchs. Da sprach die Frau Füchsin „hat der Herr rote Höslein an, und hat er ein Spitzmäulchen?“ – „Ja,“ sagte die Katze, „das hat er.“ – „So soll er heraufkommen,“ sprach die Frau Füchsin, und hieß die Magd das Hochzeitsfest bereiten.
„Katze, kehr die Stube aus,
und schmeiß den alten Fuchs zum Fenster hinaus.
Bracht so manche dicke fette Maus,
fraß sie immer alleine,
gab mir aber keine.“
Da ward die Hochzeit gehalten mit dem jungen Herrn Fuchs, und ward gejubelt und getanzt, und wenn sie nicht aufgehört haben, so tanzen sie noch.
Hintergründe zum Märchen „Die Hochzeit der Frau Füchsin“
„Die Hochzeit der Frau Füchsin“ ist ein Märchen, das in den „Kinder- und Hausmärchen“ der Gebrüder Grimm enthalten ist. Das Märchen wurde erstmals in der ersten Auflage von 1812 veröffentlicht und in späteren Auflagen leicht überarbeitet. Es handelt sich um ein Tiermärchen, bei dem die Hauptfiguren Tiere sind, die menschenähnliche Eigenschaften aufweisen. Die Brüder Grimm sammelten ihre Märchen aus verschiedenen Quellen, darunter mündliche Überlieferungen, schriftliche Aufzeichnungen und literarische Werke. Die genaue Herkunft von „Die Hochzeit der Frau Füchsin“ ist nicht bekannt, aber es ist wahrscheinlich, dass sie auf mündlichen Überlieferungen basiert. Jacob Grimm kannte das Märchen schon aus seiner Kindheit.
„Die Hochzeit der Frau Füchsin“ beinhaltet Motive und Themen, die typisch für Tiermärchen sind. Die Tiere in der Geschichte verhalten sich wie Menschen, haben menschenähnliche Eigenschaften und nehmen menschliche Rollen ein. Das Märchen thematisiert Ehe, Tod und Treue, indem es die Suche der Frau Füchsin nach einem neuen Ehemann nach dem Tod ihres ersten Mannes darstellt. Das Märchen ist in Reimen und Dialogen verfasst, die die Handlung auf humorvolle Weise vorantreiben. Die Dialoge sind geprägt von Wiederholungen und Variationen, was einen rhythmischen und musikalischen Charakter erzeugt. Dieser Stil ist charakteristisch für mündliche Erzähltraditionen und lädt dazu ein, das Märchen laut vorzulesen oder zu rezitieren.
Die Rezeption von „Die Hochzeit der Frau Füchsin“ war gemischt. Einige Kritiker, wie Achim von Arnim, fanden den Text für ein Kinderbuch zu obszön, während andere, wie Jacob Grimm, darauf bestanden, dass das Märchen rein und unschuldig sei. Insgesamt hat das Märchen jedoch seinen Platz in der Sammlung der Gebrüder Grimm behauptet und wird weiterhin als Teil der deutschen Märchenliteratur geschätzt. „Die Hochzeit der Frau Füchsin“ wurde in verschiedenen Medien adaptiert, darunter Parodien, wie die von Janosch, und Zeichentrickserien, wie die japanische Serie „Gurimu Meisaku Gekijō“ aus dem Jahr 1987.
In der ersten Version der Geschichte hat Herr Fuchs neun Schwänze. Er täuscht den Tod vor, um die Treue seiner Frau zu testen. Frau Fuchs weist alle Fuchskandidaten zurück, die weniger als neun Schwänze haben. Als sie sich mit einem anderen Fuchs mit neun Schwänzen verlobt, erhebt sich Herr Fuchs und wirft alle aus seinem Haus hinaus, auch seine Frau. In der zweiten Version stirbt Herr Fuchs, und Frau Fuchs wird von einem Hund, einem Hirsch, einem Hasen, einem Bären und einem Löwen angezogen. Sie lehnt sie ab, weil sie keine rote Hose und kein spitzes Gesicht haben. Als ein Fuchs ankommt und ihre Anforderungen erfüllt, willigt sie ein, ihn zu heiraten und beklagt den Egoismus ihres ersten Mannes.
Interpretationen zum Märchen „Die Hochzeit der Frau Füchsin“
„Die Hochzeit der Frau Füchsin“ (KHM 38) bietet verschiedene Interpretationsmöglichkeiten. Hier sind einige mögliche Lesarten des Märchens:
Soziale Hierarchie und Geschlechterrollen: Das Märchen kann als Reflexion über soziale Hierarchie und Geschlechterrollen gelesen werden. Frau Füchsin ist auf der Suche nach einem neuen Ehemann, der ihrem verstorbenen Mann ähnlich ist. Sie achtet darauf, dass der neue Partner die gleichen äußerlichen Merkmale (neun Schwänze oder ein rotes Höschen) hat wie der alte Fuchs. Diese Merkmale können als Symbole für sozialen Status und männliche Dominanz interpretiert werden. Das Märchen zeigt auch, dass Frau Füchsin und Jungfer Katze in ihrem Handeln und ihrer Kommunikation von den männlichen Figuren abhängig sind.
Treue und Ehe: Eine weitere mögliche Interpretation betrifft die Themen Treue und Ehe. Das Märchen zeigt, dass Frau Füchsin trotz des Todes ihres Mannes treu bleibt und ihn betrauert. Sie sucht einen neuen Ehemann, der ihrem verstorbenen Mann ähnelt, was ihre Loyalität und ihren Wunsch nach Beständigkeit innerhalb der Ehe unterstreicht.
Täuschung und List: Die Handlung des Märchens dreht sich um Täuschung und List. Im ersten Märchen stellt sich der alte Fuchs aus Eifersucht tot, um seine Frau auf die Probe zu stellen. Im zweiten Märchen ist er wirklich tot, aber Frau Füchsin und Jungfer Katze täuschen die Freier, um den passenden Ehemann zu finden. Die Verwendung von Täuschung und List zeigt die Komplexität menschlicher Beziehungen und die Notwendigkeit, vorsichtig und klug in der Auswahl eines Partners zu sein.
Humor und Wortspiel: Das Märchen ist geprägt von humorvollen Dialogen und Wortspielen, die dazu dienen, die Handlung aufzulockern und zu unterhalten. Die Reime und Wiederholungen tragen zur humorvollen Atmosphäre bei und lassen das Märchen als spielerische Reflexion über menschliche Beziehungen und die Wahl des richtigen Partners erscheinen.
Insgesamt bietet „Die Hochzeit der Frau Füchsin“ verschiedene Interpretationsmöglichkeiten, die die Komplexität menschlicher Beziehungen, die Bedeutung von Treue und Beständigkeit in der Ehe sowie die Rolle von Täuschung und List in der Partnerwahl beleuchten.
Adaptionen zum Märchen „Die Hochzeit der Frau Füchsin“
„Die Hochzeit der Frau Füchsin“ sind zwei deutsche Märchen, die unter dem gleichen Titel von den Brüdern Grimm in Grimms Märchen als Nummer 38 gesammelt wurden. Es war in allen Ausgaben enthalten und wird als Aarne-Thompson Typ 65, 1350, 1352* und 1510 klassifiziert. Die zweite Version des Märchens wurde den Grimms von Ludovico Brentano Jordis erzählt, der auch Der Löwe und der Frosch für die Brüder niederschrieb. Es gibt einige Adaptionen des Märchens „Die Hochzeit der Frau Füchsin“ (KHM 38) von den Gebrüder Grimm in unterschiedlichen Medien. Hier sind einige konkrete Beispiele:
Parodie von Janosch: Janosch, ein bekannter deutscher Autor und Illustrator, hat das Märchen in seiner eigenen humorvollen und unkonventionellen Art adaptiert. In seiner Version stellt sich der Fuchs nur tot, und die Füchsin entscheidet sich, einen neuen Partner zu wählen, der mehr Schwänze hat als ihr ursprünglicher Ehemann. Janoschs Adaption spielt mit den Motiven des Märchens und bietet eine moderne, humorvolle Interpretation.
Gurimu Meisaku Gekijō: In der japanischen Zeichentrickserie „Gurimu Meisaku Gekijō“ (Grimms Meisterwerke) wurde das Märchen als Folge 25 mit dem Titel „Die Hochzeit der Füchsin“ adaptiert. Die Serie adaptiert verschiedene Grimms Märchen und andere klassische Erzählungen in einem animierten Format, das sowohl Kinder als auch Erwachsene anspricht.
Theaterstücke und musikalische Aufführungen: Es gibt einige Theaterstücke und musikalische Aufführungen, die auf „Die Hochzeit der Frau Füchsin“ basieren. Beispielsweise wurde das Märchen in Form eines Kindertheaterstücks adaptiert, das die Reime und Dialoge des Originals verwendet, um eine interaktive und unterhaltsame Aufführung für ein junges Publikum zu bieten.
Moderne Neuinterpretationen und Nacherzählungen: In Anthologien und Sammlungen von Märchenadaptionen finden sich auch moderne Neuinterpretationen und Nacherzählungen von „Die Hochzeit der Frau Füchsin“. Diese können in Form von Kurzgeschichten, Gedichten oder grafischen Erzählungen präsentiert werden und bieten neue Perspektiven auf das klassische Märchen, indem sie die Themen und Motive des Originals aufgreifen und in einen zeitgenössischen Kontext setzen.
Obwohl „Die Hochzeit der Frau Füchsin“ nicht so bekannt und weit verbreitet ist wie andere Grimms Märchen, hat es dennoch einige interessante Adaptionen und Neuinterpretationen in verschiedenen Medien erfahren, die das Märchen für ein modernes Publikum neu beleben und neu erzählen.
Zusammenfassung der Handlung
„Die Hochzeit der Frau Füchsin“ (KHM 38) ist ein Tiermärchen der Brüder Grimm, das in zwei Varianten erzählt wird. In der ersten Variante stellt sich der alte Fuchs aus Eifersucht tot, um seine Frau auf die Probe zu stellen. Frau Füchsin schließt sich in ihrer Kammer ein und weint. Währenddessen kocht die Magd Jungfer Katze in der Küche.
Die Magd empfängt verschiedene Freier und berichtet Frau Füchsin von ihnen. Frau Füchsin fragt nach bestimmten Tugenden und äußerlichen Merkmalen, die ihr verstorbener Mann hatte. Schließlich entscheidet sie sich für den Freier, der neun Schwänze hat – genau wie ihr angeblich verstorbener Ehemann. Als sie ihren neuen Partner wählt, offenbart sich der alte Fuchs als lebendig und beschwert sich über ihre Untreue.
In der zweiten Variante des Märchens ist der alte Fuchs tatsächlich gestorben. Frau Füchsin trauert um ihren Mann und sucht erneut nach einem geeigneten Ehemann. Wieder empfängt Jungfer Katze die Freier und berichtet Frau Füchsin von ihnen. Dieses Mal entscheidet sie sich für den Freier, der ein rotes Höschen trägt, ein weiteres äußerliches Merkmal ihres verstorbenen Mannes. Beide Versionen des Märchens sind geprägt von humorvollen Dialogen und Reimen und thematisieren Themen wie Treue, Ehe, Täuschung und List.
Informationen für wissenschaftliche Analysen
Kennzahl | Wert |
---|---|
Nummer | KHM 38 |
Aarne-Thompson-Uther-Index | ATU Typ 65 |
Übersetzungen | DE, EN, DA, ES, PT, IT, JA, NL, PL, RU, TR, VI, ZH |
Lesbarkeitsindex nach Amstad | 87.5 |
Lesbarkeitsindex nach Björnsson | 25.5 |
Flesch-Reading-Ease Index | 78.2 |
Flesch–Kincaid Grade-Level | 5.3 |
Gunning Fog Index | 6.7 |
Coleman–Liau Index | 10.4 |
SMOG Index | 8.2 |
Automated Readability Index | 5.4 |
Zeichen-Anzahl | 4.319 |
Anzahl der Buchstaben | 3.242 |
Anzahl der Sätze | 62 |
Wortanzahl | 729 |
Durchschnittliche Wörter pro Satz | 11,76 |
Wörter mit mehr als 6 Buchstaben | 100 |
Prozentualer Anteil von langen Wörtern | 13.7% |
Silben gesamt | 1.006 |
Durchschnittliche Silben pro Wort | 1,38 |
Wörter mit drei Silben | 46 |
Prozentualer Anteil von Wörtern mit drei Silben | 6.3% |